Der lange Weg zum sauberen Diesel

Einst als effiziente Lösung gepriesen, sind Diesel nach der Affäre um Manipulationssoftware bei Volkswagen ins Zwielicht geraten. Dennoch sehen viele Autohersteller in dem selbstzündenden Kraftstoff nach wie vor das größte Spritspar-Potenzial. Nur der Aufwand zur Abgasreinigung wird immer größer.

Feinstaub und Stickoxide: Bei den Problemen des Dieselmotors wiegen heute selbst Fahrer bedenklich mit dem Kopf, denen die Vorgänge unter der Motorhaube eher schnuppe sind. Aber sie wissen, dass D-Modelle noch immer die sparsameren sind. „Aus unserer Sicht sind Dieselmotoren in Personen- wie Lastwagen unverzichtbar, wenn der verkehrsbedingte Kohlendioxidausstoß weiter sinken soll“, bekräftigt etwa Prof. Thomas Weber, Forschungs- und Entwicklungschef bei Daimler, gemeinsam mit Kollegen der anderen Hersteller. Die Zukunft, Stichworte „Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedures“ oder WLTP und „Real Driving Emissions“ oder RDE, wird sogar noch weit strenger werden.

Die Aufgabe, den hohen Wirkungsgrad von Dieselmotoren nochmals zu steigern und gleichzeitig für Sauberkeit nach strengsten Normen zu sorgen, erfordert den ganzen Einfallsreichtum der Konstrukteure. Ultimative Reinheitsgebote werden sich möglicherweise sogar nur in Verbindung mit Hybridtechnik erfüllen lassen. Diese wird durch größere Serien und Fortschritte bei den Batterien preiswerter, der Aufwand für die Abgas-Nachbehandlung verteuert Dieselmotoren: Die Kraftquelle im Automobil, da sind sich alle Entwickler einig, wird sich bis 2020 mehr ändern als in den 50 Jahren zuvor.

Diesel arbeiten mit einer höheren Verdichtung als Benzinmotoren. Ihre Verbrennung arbeitet mit höheren Temperaturen. Beides ist – neben dem Umstand, dass ihr Kraftstoff 13 Prozent mehr Energie enthält als Benzin – der Hauptgrund für ihren geringeren Verbrauch. Höhere Temperaturen aber führen dazu, dass sich der normalerweise inaktive Stickstoff – mit fast 80 Prozent der Hauptbestandteil der Luft – mit dem Sauerstoff der Luft zu Stickoxid verbindet. Von ihm gibt es mehrere Erscheinungsformen, die chemische Kurzform NOx fasst sie zusammen.

Stickoxide sind giftig, sie reizen die Atemwege, verursachen Smog und sauren Regen. Aus gutem Grund dürfen neue Autos immer weniger davon ausstoßen. Die gültige Euro-6-Norm erlaubt maximal 80 Mikrogramm NOx pro Kilometer. In den USA sind nur 50 Millionstelgramm pro Meile erlaubt, umgerechnet 31 pro Kilometer. Die bis 31. August 2015 gültige Norm Euro-5 erlaubte 180 Mikrogramm.

Schon lange vor der aktuellen NOx-Diskussion wurden Reinheitsgebote für Dieselmotoren erlassen. Kohlenwasserstoffe (HC) und Kohlenmonoxid (CO) werden in einem Oxidations-Katalysator nachverbrannt, auch Diesel-Oxidations-Catayst (DOC) genannt. Heute überall serienmäßig eingebaute Partikelfilter (DPF) ließen die früher häufigen Rußwolken aus dem Auspuff verschwinden. Sichtbarer Qualm bei einem Personenwagen heute verrät einen in der Wartung vernachlässigten Motor oder (meist) wenig fachgerechte Tuningmaßnahmen.

Letztes (und größtes) Problem bei Dieselmotoren ist ihr Stickoxid-Ausstoß. Erster Ansatz, ihn möglichst zu vermeiden, sind geringe „Rohemissionen“. Heutige Motoren verfügen dazu über Abgas-Rückführung (AGR). Ein Teil der Auspuffgase geht zurück in den Brennraum. Die Ladung wird verdünnt, die Temperaturen bleiben niedriger, es entstehen weniger Stickoxide. In den neuesten Motoren wird diese AGR sehr genau mit gekühlten Hoch- und Niederdrucksystemen an die jeweils herrschenden Verhältnisse bei Drehzahl und Last angepasst. Sie kann bei entsprechendem Aufwand die Rohemissionen deutlich senken, wobei sogar der Wirkungsgrad des Motors profitiert. Es gilt jedoch, Ablagerungen aus den Auspuffgasen besonders an beweglichen Klappen und Ventilen zu vermeiden. Sie können vor allem bei häufigen Kurzstreckenfahrten für Kummer sorgen.

AGR freilich schafft die schärfsten heutigen Grenzwerte nicht allein. Die bei der Verbrennung entstehenden Stickoxide müssen außerhalb des Motors aufgelöst werden. Erste Methode hierfür ist ein sogenannter Denox-Katalysator. Er speichert die Stickoxide eine gewisse Zeit. Ist die Kapazität erschöpft, melden dies entsprechende Sensoren an die Einspritz-Elektronik. Sie lässt dann für kurze Zeit eine erhöhte Kraftstoffmenge einspritzen. Diese verbrennt nicht vollständig, sondern gelangt als teilweise verbrannte und damit sehr reaktionsfreudige Ladung in den Katalysator. Hier entreißt sie, bildlich gesprochen, den gespeicherten Stickoxiden den Sauerstoffanteil. Sie werden zu reinem Stickstoff reduziert und ausgestoßen.

Der Denox-Kat – englisch auch „Passive NOx Adsorber“ genannt, PNA – ist die einfachere und billigere Lösung. Unmittelbar an Abgaskrümmer oder Turbolader angeordnet, wird er nach dem Kaltstart schnell warm, die Wirkung setzt entsprechend rasch ein. Die je nach Fahrweise nach längeren oder auch kürzeren Fahrtstrecken nötige Reinigung durch das Einspritzen zusätzlichen Kraftstoffs erhöht aber den Verbrauch – vor allem dann, wenn der Speicherkat aus Platz- und Kostengründen klein bemessen wird und entsprechend häufig gereinigt werden muss. Hauptnachteil indes ist die begrenzte Wirksamkeit. Müssen die Vorschriften von Euro 6 eingehalten werden (und erst Recht die strengeren amerikanischen Grenzwerte), genügt PNA nur für kompakte und leichte Fahrzeuge. Ihre kleinen Motoren verbrauchen wenig und erzeugen damit auch nur geringe Mengen an Stickoxiden.

Für schwerere Fahrzeuge und größere Motoren kommt vor allem SCR in Frage, die selektive katalytische Reduktion. Hier wird verdünnte Harnsäure in die heißen Auspuffgase gespritzt. Sie zerfällt in der Hitze zu Ammoniak, dieses spaltet die Stickoxide auf in Stickstoff und Wasser.

SCR wirkt, verlangt aber großen Aufwand: Die verwendete 32,5-prozentige Harnstofflösung (bekannt vor allem als Adblue) muss von einer Pumpe und durch Leitungen zu einer Düse im Auspuffsystem gefördert werden. Der Tank – verbraucht werden bei Personenwagen ein bis drei Liter pro 1000 Kilometer – muss zumindest nach amerikanischen Vorschriften so groß sein, dass er bis zur nächsten Inspektion reicht, er wird entsprechend voluminös. Das Ganze muss elektronisch gesteuert – und nicht zuletzt im Winter geheizt werden, ab minus 11,5 Grad Celsius friert die Lösung ein.

Die komplizierte Technik, die Größe des Adblue-Tanks und die Kosten bereiten Probleme. Ein „defeat device“, eine schlaue Elektronik, die einen Prüfstandslauf erkennt und dabei das Reinigungssystem aktiviert, bei normaler Straßenfahrt aber weitgehend ausschaltet, kann helfen, Schwierigkeiten und Kosten klein zu halten. Besonders verlockend erschien dieser (selbstverständlich illegale) Ausweg vor Jahren, als die SCR-Technik noch am Anfang stand, die strengen amerikanischen Vorschriften aber bereits galten. Noch heute stört, dass SCR im Stadtverkehr und erst recht bei niedrigen Außentemperaturen lange braucht, um nach einem Kaltstart aktiv zu werden: Erst müssen die Auspuffgase das – üblicherweise unter dem Wagenboden angeordnete und damit weit vom Motor entfernte – System genügend aufheizen.

Für Euro-6- und künftige noch strengere Abgasnormen wird es nur helfen, beide Systeme zusammen einzusetzen – PNA für rasches Einsetzen der Reinigungswirkung nach dem Kaltstart, SCR für hohe Wirkung bei rasch wechselnden Betriebsbedingungen im realen Verkehr. Speicherkat plus selektive katalytische Reduktion, dazu wie bisher Oxidationskatalysator, Partikelfilter und AGR verkörpern eine regelrechte kleine Chemiefabrik allein zur Sauberhaltung der Auspuffgase, deren Kosten bald so hoch werden wie die für den eigentlichen Motor. Die Kombination ist nicht neu: BMW etwa rüstet einige schwere Modelle seit längerem so aus und hat bei den verschiedenen Emissionstests der jüngeren Zeit gut abgeschnitten.

Neue Idee bei Daimler ist, Oxidations- und Speicherkat sowie Partikelfilter und SCR-Katalysator in jeweils einem gemeinsamen Bauteil zu vereinigen. Dazwischen ist das Dosiermodul für die Harnstoff-Einspritzung angeordnet. Der kombinierte Oxidations- und NOx-Speicherkat wandelt dank seiner speziellen Beschichtung angesammeltes NOx bereits bei vergleichsweise niedriger Temperatur (ab ca. 250 Grad Celsius) um – ohne Einspritzen von zusätzlichem Kraftstoff. Dieser Fortschritt sorgt allein für eine Verbrauchsreduzierung im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) um bald fünf Prozent. Weitere Reinigung bewirken in Verbindung mit Harnstoff-Einspritzung der mit seiner Beschichtung auch als SCR-Katalysator wirksame Partikelfilter – Bezeichnung ‚sDPF – sowie der finale SCR-Katalysator. Das neue zusammengefasste System vermeidet zudem Wärmeverluste während der Fahrt mit geringer Last. Das Gesamtsystem ist stets, so die Entwickler in Stuttgart, so leistungsfähig, dass auch abrupte Laständerungen nicht zu einem unerwünschten Anstieg von Schadstoffen führen.

Geplante neue Abgasnormen nach Euro 6 bedeuten für Personenwagen mit Dieselmotor noch mehr Aufwand. Neue Ideen wie die von Mercedes-Benz könnten helfen, den Kostenanstieg in Grenzen zu halten. Kleinwagen werden wegen dieser Kosten schon heute von vielen Herstellern nicht mehr als Dieselmodell angeboten. Skeptiker sehen sogar voraus, dass mittelfristig Hybrid- und Plug-in-Hybridmodelle die Rolle der sparsamen Diesel übernehmen. Diese werden durch größere Serien und rasch sinkende Preise bei Batterien immer wettbewerbsfähiger. Heute schon scheint klar, dass die Kombination von Diesel und Hybrid keine Lösung für die Zukunft ist: Volvo hat jüngst die Produktion des erst 2012 vorgestellten V60 Plug-in mit Diesel- und Elektromotor wieder eingestellt und PSA, als Unternehmen, das einst den Diesel-Hybridantrieb favorisiert, hat gerade verkündet, diese Strategie aufzugeben und den Diesek durch Benzin-Hybrid zu ersetzen. (ampnet/fer)


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Vier-Zylinder-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz: Die Abgas-Nachbehandlung sitzt komplett am Motor.

Vier-Zylinder-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz: Die Abgas-Nachbehandlung sitzt komplett am Motor.

Foto: Daimler


Vollaluminium-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz .

Vollaluminium-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz .

Foto: Daimler


Vier-Zylinder-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz: Stahlkolben (links) statt Alu-Kolben.

Vier-Zylinder-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz: Stahlkolben (links) statt Alu-Kolben.

Foto: Daimler


Vier-Zylinder-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz.

Vier-Zylinder-Diesel OM 654 von Mercedes-Benz.

Foto: Daimler