Historie und Histörchen (19): Motorprüfstand im Schlafzimmer

Nachdem aus seinem schönen Plan einer Adler Coupés nichts geworden war, beschloss Hubert Willi Schillings, sich sein eigenes Auto zu bauen. Von der kurzen Geschichte des HWS 1 erzählt Hans-Peter Thyssen von Bornemisza, ein Journalist und Fachbuchautor, den ältere Kollegen noch unter dem Namen Hanns-Peter Rosellen kennen. Der 1941 geborene Dresdner war Redakteur bei folgenden Blättern: "Deutsche Auto-Zeitung“, der heutigen „Auto-Zeitung“, "Die Welt“, „Welt am Sonntag“ und „Bunte“, zuletzt als geschäftsführender Redakteur. Viele Konstrukteure deutscher Nachkriegs-Mobile wurden von ihm persönlich befragt. Diese Recherchen führten nicht nur zu Fachbüchern, sondern auch zu Anekdoten aus den Jahren, als das Auto in Deutschland wieder laufen lernte.

Hubert Willi Schillings, begabter Techniker und Schöpfer des Adler-Coupés, wollte aus seinem nicht verwirklichten Entwurf und Modell zum Adler-Coupe sein eigenes kleines Auto schaffen, einen sportlichen Zweisitzer für den kleinen Geldbeutel – eine stärkere Version des etablierten Kleinschnittgers. Unterstützt wurde er dabei von dem Motor-Journalisten Robert Poensgen, der dem Projekt einen festen Platz am Markt voraussagte. Bald war die Außenhaut für ein zweisitziges Cabriolet ohne Türen fertig.

Nach Feierabend kam nun ein Schweißer zu den Schillings, der ein Rohrrahmen-Fahrgestell zusammenfügte. Darauf kam ein Holzgerippe, das wiederum der Aluminium-Karosserie Halt bot. Schließlich kaufte Hubert Willi Schillings einen 400-ccm-Horex-Motor, der eigentlich für das Horex-Imperator-Motorrad entwickelt worden war, der aber bestens unter die Haube mit Lufthutze passte. Auf einem Stuhl im Schlafzimmer ließ Schillings ausführlich Probeläufe fahren, die zu erheblicher Lärmbelästigung der Nachbarschaft führten. Die Bremsanlage kaufte Schillings von Ate, die Scheinwerfer von Hella. Die Sitzbank nähte die Gattin selbst, die Räder fertigte Schilling in Eigenarbeit.

An einem Sommerabend im Juli 1956 stand das 3,30 Meter, 330 kg Cabriolet fertig im Zimmer. Schillings blickte auf die Uhr: Es war 23.00 Uhr, Zeit für eine erste Probefahrt. Doch das Auto passte nicht durch die Tür und nicht durch den Hausflur. Noch in der Nacht wurde das Exemplar wieder zerlegt, um aus dem Zimmer vor das Haus geschafft zu werden. Hier wurde es wieder zusammengebaut und pünktlich um Mitternacht absolvierte Schillings und seine Frau die allererste Probefahrt mit dem HWS -I genannten Wägelchen.

Die erste Fahrt ermutigte zum weiteren Vorgehen. Schillings gab seine Wohnung in Bad Homburg auf und bezog in Ranstatt, einem Dorf im hessischen Zonenrandgebiet, einen alten Bauernhof, direkt an der Bundesstraße 275. Hier hängte er ein Schild "HWS-Fahrzeugbau" auf und beantragte über den dortigen Landrat zinsgünstige Landes-Kredite, die Schillings als Spätheimkehrer auch zustanden.

Der Techniker hängte nun seine gut bezahlten Zeichen-Jobs an den Nagel und widmete sich fortan in seinem Bauernhof nur noch dem Bau eines komplett neuen Wagens, für den das bisherige Exemplar allerdings völlig ausgeschlachtet werden musste. Ende 1956 begann Schillings mit dem Bau eines völlig geänderten Roadsters ohne Türen, diesmal in aufwendigerer Bauweise mit Stahlrohrrahmen und darüber sitzender Kunststoffkarosserie sowie größeren Maßen.

Fertiggestellt wurde der Roadster mit dem nach Bugatti-Art aufwendig geschabten Aluminium-Armaturenbrettes im Herbst 1957. Das komplette Vorderteil ließ sich nach vorn klappen und gab so den Motor frei, gleich zwei Tanks saßen im Heck. Die Scheinwerfer, befestigt am Fahrwerk, lugten durch zwei Löcher in der Karosserie. Statt der Sitzbank des früheren Modells besaß der neue Typ nun zwei schalenförmige Einzelsitze. Unter der Haube saß wiederum der 400-ccm-Horex-Motor, diesmal quer zur Fahrtrichtung eingebaut. Dieser gab 30 PS ab und bescherte dem nun zweifarbig lackierten Wagen eine Höchstgeschwindigkeit von 135 km/h.

Die österreichische Motorradfabrik KTM zeigte großes Interesse, zog sich dann aber doch zurück. Das ganze Dorf nahm am Entstehen des Wagens regen Anteil. Die Bank vor der Scheune war immer von Neugierigen besetzt. Noch im Frühjahr 1957 ließ Schillings wissen, dass im Herbst die Serienfertigung beginnen werde. Bis dahin würden noch Versuche gefahren. Dabei kam Schillings zu der Erkenntnis, das Leistung fressende Gebläse wegzulassen und die Kühlung des Motors, nach dem Vorbild Kleinschnittgers, allein dem Fahrtwind zu überlassen. Die Serienproduktion wurde auf Mai 1958 verschoben, doch dann ging das Geld aus. Der HWS-II wurde nur in einem Exemplar gebaut und stand nie auf einer Ausstellung.


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Bilder zum Artikel

HWS 1.

HWS 1.

Foto: von Thyssen


HWS 2.

HWS 2.

Foto: von Thyssen


HWS 1.

HWS 1.

Foto: von Thyssen


HWS-Emblem.

HWS-Emblem.

Foto: von Thyssen