Historie und Histörchen (27): Wie der Pinguin sich totlief

Vom Schicksal des Pinguin, eines Kleinwagens mit dem Spitznamen der „kleine Porsche, erzählt Hans-Peter Thyssen von Bornemisza, ein Journalist und Fachbuchautor, den ältere Kollegen noch unter dem Namen Hanns-Peter Rosellen kennen. Viele Konstrukteure deutscher Nachkriegs-Mobile wurden von ihm persönlich befragt. Diese Recherchen führten nicht nur zu Fachbüchern, sondern auch zu Anekdoten aus den Jahren, als das Auto in Deutschland wieder laufen lernte.

Wilde Zeiten in und um Bielefeld

Ausgesprochen erbost reagierte Romanus Müthing, als er eines Tages in der „Neuen Presse“ unter der Überschrift „Ein Porsche auf drei Rädern.“ las, dass sein früherer Konstrukteur die alte Ausführung des Pinguin propagierte. „Zu meinem Erstaunen muss ich feststellen, dass Sie die Unverschämtheit besitzen, mit meinen Projekten für Ihren Namen zu werben“, schrieb er an Volkerath. „Ich möchte Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass die von Ihnen konstruierten Fahrzeuge verschrottet wurden und bei der Neukonstruktion auf keines der von Ihnen konstruierten Teile zurückgegriffen wurde. Sie wissen selbst, auf welch schwachen Füßen Ihre Konstruktion stand.“

Gerichtet war das Schreiben an Kurt C. Volkerath aus Quelle bei Bielefeld. Der Ingenieur war bereits in den 20er Jahren bei der Konstruktion des Opel-Raketenwagens beteiligt. Seither half er bei einigen Automobilkonstruktionen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Volkerath in Quelle ein Milchgeschäft eröffnet. Als Müthing über den Kaufmann Heinz Elschenbroich ins Autogeschäft geraten war, riet der dem gut verdienenden Landmaschinen-Verteter, doch selbst eine Studiengesellschaft zu gründen. Müthing gab das Geld, Elschenbroich wurde Geschäftsführer und fand per Zeitungsanzeige Volkerath.

Im Mai 1953 gründete Müthing die „M.E.V. Studiengesellschaft für Kraftfahrzeugentwicklung“. Dem Landmaschinen-Vertreter war es durchaus nicht recht, als Autofabrikant aufzutreten, deshalb sollte die M.E.V. weitab von Silbach, nämlich in Herne, die Entwicklung von Volkeraths Modell zur Serienreife übernehmen. Betriebsleiter in Herne wurde Heinz Elschenbroich, der in Herne schon bald eine kleine Halle pachtete.

Hier baute Volkerath mit einigen Leuten einen ersten Zentralrohrrahmen zum geplanten Dreirad mit einem 197 ccm-Einzylinder-Zweitakt-Motor (Marke: Ilo) im Heck. Mit dem Fahrgestell und einem notdürftig montierten Sitz begannen bald Erprobungsfahrten über Landstraßen, Autobahnen und Feldwege. In der Zwischenzeit klopfte ein alter Kutschbauer die Teile zur ersten Karosserie über einen Holzklotz.

Bei der zweiten Blechhaut kamen die Experten der Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM) in Werdohl zu Hilfe. Sie hatten ein Verfahren entwickelt, mit dem man Aluminiumbleche ohne Presswerkzeuge warm verformen konnte. VDM bog auf diese Weise Karosserieteile für Porsche und fürs Fuldamobil.

Pünktlich zum Zweirad-Salon im September 1953 in Frankfurt waren die beiden ersten Prototypen komplett. Der „Pinguin“, wie Müthing sein kleines Mobil getauft hatte, erweckte viel Interesse in der Presse und beim Publikum. Und wegen seiner entfernten Ähnlichkeit zum Porsche-Sportwagen hatte der Pinguin bald seinen Spitznamen weg; der kleine Porsche. Man sprach auch schon von Porsche auf drei Rädern. Die langgestreckte Form gefiel jedenfalls. Besondere Merkmale: die vordere durchgehende Sitzbank für drei Personen, Lenkradschaltung, Blinklichtanlage, einen geschlossenen Bug, Blinklichter auf den Kotflügeln und am Heck eine Klappe. Auch wenn im Prospekt geschrieben stand: „kein Wunschtraum, sondern Wirklichkeit“, so war der Pinguin noch weit entfernt vom Serienbau.

So weit, dass Müthing auf einen der beiden Ausstellungswagen „Versuchswagen“ schreiben ließ. Nach der Entwicklung, hatte die M.E.V.-Studiengesellschaft ihren Zweck erfüllt und wurde nun umgetauft in „Ruhrfahrzeugbau – R. Müthing, Herne“. Nun galt es, die beiden Prototypen bis zur Serienreife zu erproben und die Produktion vorzubereiten. Motorenlieferant ILO unterstütze die Autobauer aus dem Westfalen kräftig. So wurde unter anderem ein Pinguin im Oktober 1953 nach Pinneberg gebracht, wo Ilo ausführliche „Auslaufmessungen“ zur Ermittlung der Fahrwiderstände durchführte.

Die Karosserie wurde dazu mit winzigen Stoffstreifen beklebt, die im Fahrtwind flatterten. Man ermittelte für den Pinguin einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,403 und errechnete, dass bei entsprechender Hinterachsübersetzung mit dem 197 ccm-Motor eine maximale Geschwindigkeit von 85 km/h leicht zu erreichen sein würde. Kummer bereitete allerdings das hohe Gewicht des Fahrzeugs. Wenn auch im Prospekt von nur 280 kg Leergewicht die Rede war, so brachte der Pinguin Prototyp doch stolze 45o kg auf die Waage.

Die gesamte Entwicklung kostete Müthing eine Menge Geld, das vorläufig der Verkauf von Landmaschinen einbringen musste. Als ernsthafter Interessent meldete sich schließlich die Motorroller-Fabrik Jakob Oswald Hoffmann aus Lintorf. Allerdings musste Müthing ihm im Februar 1954 abschreiben: „... müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass eine Umkonstruktion erforderlich ist, welche mit der entsprechenden Erprobung mehrere Monate in Anspruch nehmen wird.“

Was war geschehen? Es hatte sich plötzlich gezeigt, dass die Fahrgestelle der beiden Prototypen zu gebrechlich geraten waren. Konstrukteur Volkerath hatte bei aller Mühe um eine elegante Linie der Stabilität des Chassis zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Trotz vieler Bastelei bekam er Abstimmung und Statik des Zentralrohrrahmens nicht in den Griff. Das gesamte Projekt drohte daran zu scheitern.

Bis zum Mai 1954 wurde der Pinguin völlig neu gebaut. Dazu warb Geldgeber Romanus Müthing persönlich den Konstrukteur des bewährten Fuldamobils, Norbert Stevenson, ab. Der baute nun einen Doppelrohrrahmen mit längerem Radstand, setzte darauf eine Aluminium-Karosserie, bei der die Türen vorn angeschlagen waren und die am Bug einen von außen zugänglichen Kofferraum hatte. Das Fahrzeug erhielt hintere Seitenfenster, eine gewölbte einteilige Frontscheibe und eine hintere Sitzbank, sowie hydraulisch betätigte Bremsen. Sämtliche Scharniere von Türen, Heckklappe und Fronthaube waren außenliegend angebracht.

Im Heck vor dem Hinterrad arbeitete wieder ein luft/gebläsegekühlter Einzylinder-Zweitakt-Motor mit 197 ccm Hubraum und 10 PS (Marke: Fichtel & Sachs). Über ein Drei-Gang-Getriebe und eine Kette wurde das einzelne Hinterrad angetrieben. Maße: 3,42 x 1,42 x 1,235 m. Radstand 2,20 m. Leergewicht 430 kg. Das Leergewicht war mit 450 kg, die Höchstgeschwindigkeit mit 80 km/h angegeben.

Der Pinguin II, der künftig "Hobby" heißen sollte, sollte 3295 Mark kosten. Doch dem Ruhrfahrzeugbau ging im Frühjahr 1955 das Geld aus. Die Rotenburger Metallwerke übernahmen das ganze Projekt. Der "Pinguin" sollte dort unter dem Namen "Hobby" oder "Ami" gebaut werden. Doch auch hier mangelte es an Investitionskraft. Deshalb wollten die Rotenburger Metallwerke das Projekt weiterverkaufen.

Im August 1955 zeigte die Fahrrad- und Motorradfabrik "Express" und die Motorradfabrik "Kreidler" großes Interesse. Doch beiden war der Preis zu hoch. Als die Rotenburger Metallwerke in den Besitz der Firma Kugelfischer übergingen, wurden die bis Mitte 1955 gebauten zehn Exemplare und die Produktionswerkzeuge kurzerhand verschrottet.

Dies war Vokeraths letzte Konstruktionsauftrag, Norbert Stevenson ging zu Ford. Und Romanus Müthing wandte sich wieder seinen Landmaschinen zu.


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Bilder zum Artikel

Ruhrfahrzeugbau Pinguin.

Ruhrfahrzeugbau Pinguin.

Foto: von Thyssen


Ruhrfahrzeugbau Pinguin.

Ruhrfahrzeugbau Pinguin.

Foto: von Thyssen