Historie und Histörchen (38): Gasturbine im Auto – Alles nur heiße Luft?

Der Benzinmotor von Gottlieb Daimler wurde anfangs zur Triebkraft des Flugzeugs. Aber schon im Ersten Weltkrieg drehte sich das Blatt. Für das Flugzeug wurde Daimlers-Motor weiterentwickelt und schien dort nach dem Ende des Ersten Weltkriegs perfekter als der im Auto zu arbeiten. So schauten die Autokonstrukteure auf die Flugzeugtechnik. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Abstand noch größer: Nun entwickelte sich die Gasturbine schneller. So lag auch der Gedanke nahe, auch das Auto mit einem Jet-Antrieb auszurüsten.

Schon am 3.Januar 1946 stellte der deutsche Ingenieur und Auto-Pionier Fritz Cockerell in München seinen neu entwickelten Motor vor, der nach dem Prinzip der Gasturbine funktionierte. Im Vergleich zu herkömmlichen Motoren sollte diese Maschine bis zu 50 Prozent weniger Benzin verbrauchen. Es fand sich jedoch kein Produzent und Cockerlls Projekt geriet angesichts der Not in Vergessenheit.

In England ging man weiter. 1945 begannen bei der englischen Firma Rover erste Überlegungen, eine Gasturbine aus einem Flugzeug in ein Auto zu setzen. Schon 1946 zeigte man der Fachwelt einen Wagen mit Gasturbine. T 4 hieß der Roadster, der am 9. März 1950 auf der Rennstrecke Silverstone gezeigt wurde. Die Turbine war mit der Bezeichnung T 8 war eine Zweiwellenanlage, bei der eine Axilaturbine den Radialverdichter für die Verbrennungsluft antrieb, und eine zweite Axialturbine, die Arbeitsturbine, die für den Vortrieb des Fahrzeugs sorgte. Nach Art eines Mittelmotors wurde sie hinter den Vordersitzen und vor der Hinterachse eingebaut, wirkte über ein Übersetzungsgetriebe und eine kurze Kardanwelle auf die spiralverzahnten Kegelräder der Hinterachse.

Als maximale Drehzahlen für die vorsorglich auf 100 PS gedrosselten Turbinen wurden 40 000 Umdrehungen pro Minute (U/min) und für die Arbeitsturbine 26 000 U/min genannt. Sie machte erste Probefahrten und ermöglichte eine Geschwindigkeit von 135 km/h. Was in der Turbine steckte, demonstrierte der zwei Jahre später gezeigte Prototyp, der schon mit Scheibenbremsen ausgestattet war. Er leistete 230 PS und schaffte auf dem Teilstück der Autobahn Ostende-Brüssel mit 244,5 km/h den ersten Geschwindigkeitsweltrekord für Turbinenautos.

Zum Höhepunkt der Entwicklungsarbeit wurde 1956 der Rover T 3 vorgestellt, der sich außer durch sein Triebwerk – einer Zweiwellen-Konstruktion mit 100 PS Leistung – durch eine De Dion-Hinterachse und Vierradantrieb auszeichnete. Auf der New Yorker Automobil-Ausstellung 1962 wurde der Rover T 4 erstmals vorgestellt. Es handelte sich im Grunde um einer in Serie gebaute Rover 2000 mit Gasturbine im Bug, die dieses Mal nur die Vorderräder antrieb. Die Gasturbine leistete 140 PS. Die Turbine wog laut Werksangaben rund 90 kg, weniger als ein entsprechender Kolbenmotor von vier Litern Hubraum.

Der T 4 sollte eine Spitze von 185 km/h schaffen und dabei 15 l/100 km verbrauchen. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h wurde mit acht Sekunden angegeben. Nach Aussagen von Rover wäre ein in Großserie produzierter Turbinenwagen nur wenig teurer als konventionelle Fahrzeuge geworden. Technisch wäre die Produktion nach zwei bis drei Jahren weiterer Entwicklungsarbeit möglich gewesen.

1963 bauten die Engländer sogar in einen B.R.M.-Rennwagen eine 150 PS Gasturbine ein. Rennerfolge erzielte er nicht.

Auch bei General Motors, dem damals größten Auto-Produzenten der Welt, war man von der Gasturbine beeindruckt. Schon 1954 zeigten die Amerikaner ein sogenanntes Traum-Auto, ein Auto der Zukunft ohne Vorbild: der Firebird III mit Zigarrenform und richtigen Flügeln als Spoiler. Der eigentliche Antriebsmotor war hier eine Whirlfire-Gasturbine vom Typ GT-305 mit 225 PS und 270 kg Gewicht, die im Heck des Wagens steckte. Diese verbesserte Gasturbine war leichter, kompakter und sie war um zehn Prozent leistungsfähiger, als die des Firebird II. Dabei verbrauchte sie 25 Prozent weniger Brennstoff.

Da konnte (und wollte) die amerikanische Konkurrenz nicht zurückstehen. Chryslers Tochter Plymouth zeigte 1954 ein viertüriges Plymouth-Modell, das von einer Gasturbine angetrieben wurde. Sie war nicht größer als ein Achtzylinder-Kolbenmotor. Sie arbeitete laut Werksangabe sparsamer als der Kolbenmotor. Der Prototyp wurde 1954 gezeigt.

Renault beschäftigte sich ebenfalls in den 50er Jahren mit dem Gasturbinen-Fahrzeugantrieb, angeblich auf Anregung des Staatspräsidenten General de Gaulle angeregt. Im September 1956 erschien der "Etoile Filante" ("Sternschnuppe") genannte Einsitzer mit hochaufragenden Heckflossen und Kotflügel-Aufbäumungen. Markant waren die beiden längs über die Karosserie laufenden blauen Streifen. Der Einsitzer mit der Fahrerflosse riss am 5. September 1956 den Weltrekord für Turbinenfahrzeuge mit 309 km/h an sich, gefahren von dem Ingenieur Jean Herbert auf dem amerikanischen Salzsee in Utah.

Die Turbomeca-Turbine leistete im Heck bei 28 000 U/min 270 PS. Konstruiert hatte den Filante der Franzose Fernand Picard, Direktor der Renault-Forschungsabteilung und Albert Lory, der Konstrukteur des Delage 1500-8 Zylinder-Grand Prix-Wagens von 1927. Im Jahre 1959 interessierte sich der russische Präsident Nikita Chruschtschow für den auf dem Stand von Renault auf der Leipziger Messe ausgestellten Turbinenwagen. "Es ist ein sehr schöner Wagen", meinte er, "doch ich bin zu alt, um da hineinzusteigen."

1956 stellte auch die italienische Fiat einen Gasturbinenwagenvor; ein einsitzges Coupè mit gro0er Heckflosse.

Die französische Socemas (Gesellschaft für Bauten und Maschinen für die Luftfahrt) beobachtete Anfang der 50er Jahre das Bemühen in den USA, in England und Italien, ein Auto mit Gasturbinen-Antrieb auf die Räder zu stellen. Sie gewann das Interesse des Ingenieurs Jean-Albert Gregoire, auch in Frankreich ein solches Auto zu erproben. Bis 1952 stand der Socemas-Gregoire auf den Rädern: Ein zweitüriges Coupé mit einem Jet-Kühllufteinlaß am Bug, mit versenkten Scheinwerfern, verdeckten Hinterrädern, mit versenkten Türgriffen und aerodynamischer Karosserielinie. Im Bug steckte eine eigens konstruierte kleine Gasturbine, die 100 PS leistete und bis zu 45 000 U/min drehen konnte. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 200 km/h. Um die Kosten des Projekts zu drücken, verwendete Jean-Paul Gregoire viele Teile der Hotchkiss-Gregoire-Limousine. Das blau-metallic-lackierte Einzelstück wurde auf einigen Ausstellungen herumgezeigt, ging allerdings nicht in Serie.

1958 zeigte Ford eine Reihe von Concept-Cars, allerdings als nicht fahrbereite 3:8-Modelle. Eines davon war der Nucleon, der einen weit vorne liegenden Passagierraum und ein extrem langes Heck besaß. Dort saß ein Atomreaktor, in dem als Power-Kapsel ein radioaktiver Kern stecken sollte. Dieser Kern wäre leicht austauschbar und für die Energieversorgung, je nach Performance-Bedarf und Reichweite, für bis zu 5000 Meilen gut. Der Auto-Setup-Reaktor entsprach im Prinzip dem eines Atom-U-Boots. Er wurde entwickelt, in einen Dampferzeuger Wasser in Hochdruck-Dampf zu verwandeln, der dann verwendet wurde, um eine Reihe von Turbinen antreiben zu können.

Eine der Dampfturbinen würde Drehmoment liefern, um das Auto zu bewegen, während eine andere einen elektrischen Generator betreiben würde. Der Dampf würde kondensiert werden, um dann wieder in Wasser in einem Kühlkreislauf zurückverwandelt an den Dampferzeuger zu strömen. Solch ein geschlossenes System würde den Reaktor betreiben, solange spaltbares Material zu produzieren bliebe. Bei diesem System gingen Designer davon aus, dass ein Nucleon über 5.000 Meilen (etwa 8000 Kilometer) pro Ladung zurücklegen könnte. Da das Triebwerk ein austauschbares Teil sein würde, hätten Eigentümer die Freiheit, eine Reaktor-Konfiguration auf ihre persönlichen Bedürfnisse zu wählen. Ausgearbeitet wurde dieses Antriebskonzept allerdings nicht.

Auf der Tokio Motor Show 1983 stellte Nissan seine Studie NX-21 vor. Sie fiel nicht durch zusammenfaltbare Flügeltüren auf, welche die gesamte Wagenseite freigaben, sondern auch durch einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,25. Die zusammenfaltbaren Flügeltüren waren nach einem abgelaufenen Patent des deutsche Schwimmwagenkonstrukteurs Hanns Trippel entstanden und boten den Vorteil, beim Öffnen nicht nach außen zu schwenken, also nicht über die Breite des Wagens hinaus Platz zu beanspruchen. Statt eines Zündschlüssels besaß der NX-21 eine Code-Karte und statt eines Rückspiegels eine Video-Kamera mit Monitor. Als Antrieb diente eine Gasturbine.

Auch bei der deutschen Volkswagen um diese Zeit Erprobungen mit der Gasturbine als Ersatz für den Otto-Motor. Dabei vertraute man anfangs auf die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Firma Williams Research Corporation, die jedoch ins Leere lief. 1970 gab es einen neuen Anstoß durch die Environmental Protection Agency (EPA), die amerikanische Umweltschutzbehörde, die in der Gasturbine einen besonders schadstoffarmen Antrieb vermutete, was sich aber nicht bestätigte.

Die Benzinkrise änderte die Motorwelt. Waren bisher allein Leistungsfähigkeit gefragt, galt nun der Benzinverbrauch und das Abgasverhalten als wichtigstes Ziel. Zudem störten nun die heißen Auspuffgase der Turbine mächtig. Das Ende der Gasturbine im Auto schien endgültig. Doch nach einem Jahrzehnt des absoluten Entwicklungsstillstandes wandten sich die Schweden der Gasturbine wieder zu.

Das Volvo Envirometal ECC war ein viertüriges, weiß lackiertes Concept-Auto mit rundlichen Linien, das im Volvo-Design-Büro in Kalifornien entwickelt worden war. Der Luftwiderstandsbeiwert sollte bei 0,23 gelegen haben. Die Karosserie bestand aus Aluminium, und der Wagen wog insgesamt nur 1580 kg. Das ungewöhnlichste aber war sein Antrieb. Unter der Haube arbeitete ein Hybridantrieb mit Gasturbine als Reichweiten-Verlängerer und Elektro-Motor. Nach Volvo-Vorstellungen sollte so ein Volvo des Jahres 2000 aussehen. Im Sicherheitsstandard basierte der ECC auf dem Serien-Volvo 850. Er wurde vorgestellt im Jahre 1992.

Auf dem Genfer Automobilsalon 1992 stellte Renault die Studie Racoon vor: Ein hypermobiles Amphibienfahrzeug mit Allradantrieb. Der Racoon (Waschbär) war eine Studie für jedes Gelände. Ein Glaskuppeldach sorgte für eine Rundumsicht wie sonst nur im Hubschrauber üblich. Die Tönung der Glasfläche passte sich durch elektronische Steuerung der Helligkeit an. Anstelle herkömmlicher Scheibenwischer sorgte eine chemische Behandlung der Scheiben und Ultraschall dafür, das Wassermolküle gleich zerstört wurden, sobald sie auf die Scheibe trafen. Im Heck des Racoon steckte ein 3,0 Liter-Biturbo-Sechszylinder mit 262 PS. Weil der Motor im Heck saß, verfügte der Racoon über ein Bugfenster im Boden.

Der Racoon trug auch drei Infrarot-Kameras nach hinten und eine nach vorne. Ihr Bild gaben die Kameras als Head up-Display gleich auf die Frontscheibe. Drei Differenziale und ein neuentwickeltes Getriebe, auf das Renault ein Patent hielt, sorgten für bestmöglichen Antrieb. Im Wasser bewegte sich der Racoon durch zwei Hydrojets bis zu 5 Knoten schnell. Für den Racoon arbeiteten die Ingenieure an einer Gasturbine, die einmal die V6-Maschine ersetzen sollte. Die war mit einem Generator gekoppelt, der gleich vier Elektromotoren versprgte.

Dass die Turbine als Otto-Motor-Alternative immer noch nicht ganz abgeschrieben ist, zeigt das Beispiel Jaguar. Der Jaguar CX-75 mit dem spitz auslaufendem Heck wurde auf dem Pariser Autosalon 2009 erstmals als Studie gezeigt und war ganz auf Elektro-Antrieb ausgelegt. In diesem Falle aber mit einem Range Extender in Form von zwei kleinen Blaton-Gasturbinen. Der Antrieb des flachen Boliden besorgte je ein 145 kW-Elektromotor pro Rad, so entstand eine Maximalleistung von 580 kW, die für eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3,4 Sekunden und eine Spitze von 330 km/h sorgten. Reichweite dank Extender etwa 900 km. Dass Jaguar nun Blaton-Gasturbinen verwendete, lag daran, dass der indische Jaguar-Eigner Tata auch Besitzer einer Gasturbinen-Fabrik war.

Gerade in Zeiten, wo Leitunsgsfähigkeit des Triebwerks wieder an eine vordere Stelle rückt, könnte die Gasturbine ein Come-Back erleben. (cen)


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Bilder zum Artikel

Jaguar CX-75.

Jaguar CX-75.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Manfred Zimmermann


Jaguar CX-75.

Jaguar CX-75.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Manfred Zimmermann


Jaguar CX-75.

Jaguar CX-75.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Manfred Zimmermann


Jaguar CX-75.

Jaguar CX-75.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Manfred Zimmermann


Autos mit Gasturbinen: General Motors Firebird II.

Autos mit Gasturbinen: General Motors Firebird II.

Foto: wikipedia/conceptcarz


Versuche mit der Gasturbine: General Motors Firebird II.

Versuche mit der Gasturbine: General Motors Firebird II.

Foto: vom Thyssen


General Motors Firebird II.

General Motors Firebird II.

Foto: Wikipedia/Conceptcarz


Versuche mit der Gasturbine: Rover T-2.

Versuche mit der Gasturbine: Rover T-2.

Foto: vom Thyssen


Versuche mit der Gasturbine: Rover T-4.

Versuche mit der Gasturbine: Rover T-4.

Foto: vom Thyssen


Versuche mit der Gasturbine: Rover.

Versuche mit der Gasturbine: Rover.

Foto: vom Thyssen


Versuche mit der Gasturbine: Plymouth.

Versuche mit der Gasturbine: Plymouth.

Foto: vom Thyssen


Versuche mit der Gasturbine: Fiat.

Versuche mit der Gasturbine: Fiat.

Foto: vom Thyssen


Versuche mit der Gasturbine: Chrysler Experimental Turbine Car.

Versuche mit der Gasturbine: Chrysler Experimental Turbine Car.

Foto: vom Thyssen


Ford Nucleon von 1958.

Ford Nucleon von 1958.

Foto: v. Thyssen