Die ganze Geschichte rund ums Rückgrat: Ich bleibe am Ball

Ob Nestor oder Dinosaurier – als Tageszeitungsredakteur, der sich zum Testfahrer auf der Datenautobahn und zum Betreiber der ältesten deutschsprachigen Online-Nachrichtenagentur mit Themen rund ums Automobil wandelte, erlaube ich mir heute einige persönliche Bemerkungen. Denn der Sommer dieses Jahres bedeutete für mich mehr als das Time-out-Zeichen eines Trainers am Spielfeldrand. Nach einem Sturz im Frühjahr und drei Operationen an der Wirbelsäule erlebe ich ein Sabattical mit viel Zeit zum Nachdenken – jenseits der Schmerzen, mit dem Blick aus dem Krankenhaus-Fenster. Das erlaubte Rückblicke und Entscheidungen.

Erfahrene Kollegen werden ihre eigene Geschichte wiedererkennen, lächelnd oder innerlich die Fäuste ballend. Jüngere Kollegen sollten vielleicht auf die kleine Zeitreise verzichten und sich direkt dem Schluss des Textes zuwenden, in dem es um die Veränderungen bei unseren Medien geht. Beginnen wollen wir in den 1970ger Jahre, dem Beginn des Wandels der Presse-Landschaft.

Wir starteten damals mit der Arroganz der Jugend, die einen richtigen Volontärvertrag bei einer ambitionierten Tageszeitung in der Tasche hatte. Für die anderen – eigenes Auto, Führerschein Klasse 3, fotoerfahren, sportbegeistert – hatten wir nur ein müdes Lächeln, manchmal bestimmt von Mitleid. Aber die dritte Gruppe von Berufsanwärtern, die von einem Examen nach einem staatlichen Journalistik-Studium träumten, bedachten wir mit einem Kopfschütteln. Dass der Staat Journalisten ausbildete, passte in die DDR mit ihren Diplom-Journalisten im „Neuen Deutschland“, nicht aber für eine demokratische Gesellschaft mit der Presse als vierter Macht. Die DDR-Denke überlebte.

Zunächst blieb unsere Selbstwahrnehmung ungebrochen. Für uns war klar: Für den Sportteil braucht es keine Journalisten. Und einen Fotoapparat hätte sowieso keiner von uns in die Hand genommen. Text und Bild fanden erst beim Umbruch auf der Seite zueinander. Wir waren Schreiber, den fünf W verpflichtet und mehr noch dem Ziel, bei jedem Artikel auch die andere Seite zumindest gehört – besser noch – zitiert zu haben. Es ging immer um das ganze Bild. Moral, Berufsethik und Anspruch quollen uns damals aus allen Poren wie heute so manchem Kollegen bei den Öffentlich-rechtlichen, der auch von den Werbeeinnahmen seines Senders lebt und Geld, aber auch seinen Posten der Politik zu verdanken hat.

Aber nicht jeder Schreiber mit Volontärvertag wird Politikchef. Ich wurde als Redakteur übernommen, mit deutlich verkürztem Volontariat. Mein Ressort: nix Politik, nicht einmal Vermischtes, sondern Auto und so weiter. Glücklicherweise hatten wir einen charismatischen Chef. Ich lernte, mich damit zu trösten, dass unser Thema über Auto-Anzeigen das Feuilleton und noch ein paar weitere abgehobene Beiträge finanzierte. Doch das hat die Kollegen dort nie interessiert, schon gar nicht haben sie das honoriert.

Die Mauer zwischen der Redaktion und den Anzeigenmenschen war viel dicker als die Linie zwischen dem Text oben und der Werbung unten. Für uns in der Redaktion war es einerlei, was „unter dem Strich“ stattfand; der Strich teilte Welten. Mit dem Menschen von der Anzeigenabteilung sprachen wir nur, um von ihm zu hören, wieviel Platz er uns für unser Thema verschafft hatte.

Wir fanden das normal und ahnten nicht, dass wir das Goldene Zeitalter der Tageszeitung erlebten, bis Begriffe wie „Sonderveröffentlichung“ oder „Anzeigenkollektiv“ in unsere Welt einbrachen. Da gab es auf einmal Kollegen, die mussten über Themen schreiben, die ihnen die Anzeigenabteilung vorgab. Bei denen traten erst die handwerklichen und später auch die ethischen Regeln in den Hintergrund. Sie waren nicht alle jung, aber sie brauchten das Geld.

Jeder ahnte, wohin das führen könnte. Deswegen lächelten wir dieses Mal nur ganz vorsichtig. Dann kamen die Anzeigenblätter, die privaten Rundfunk- und Fernsehgesellschaften. Die Interessenlage zwischen Kunden und Medien wurde immer offensichtlicher: Begriffe wie „PR-Redakteur“ oder „Hybrid-Journalist“ stehen für den Versuch, Journalisten ihr Gehalt und ein bisschen mehr für den Anteilseigner im direkten Geschäft mit dem Kunden zu verdienen.

Das Internet beschleunigt den Hang zu diesen Deals; denn die Neuen Medien trafen und treffen bis heute nicht auf passend hohe Etats für ausreichend große Redaktionen. Bloggern wie anderen Nebenerwerbs- und Laien-Journalisten reichen kleine Budgets. Und so freuen sich viele Kunden über die billige Chance, Inhalte ohne sachkundige Prüfung platzieren zu können.

Ich selbst bin Teil dieser Entwicklung. Uns gelang es allerdings bisher immer, alle Inhalte nach den Regeln des Journalisten-Handwerks zu bearbeiten. Das konnten wir seit 15 Jahren auch finanzieren, obwohl Verleger in Deutschland um die Jahrtausendwende nicht einmal bereit waren, gute Inhalte fürs Internet zu honorieren. Die meisten sahen ihre Internet-Auftritte als kostenlose Dreingabe und schufen so die Umsonst-Kultur für publizistische Dienstleistungen im Internet. Nach der Erfindung des PR- oder Hybrid-Journalisten war dies ein weiterer Verrat von Verlegern am Selbstverständnis der Presse als vierter Macht.

Aber so prinzipiell dachten wir nicht. Unser Ausweg schien damals naheliegend: Warum Linke-Tasche-rechte-Tasche spielen und das Geld für die Redaktion erst über einen speziellen Vertrieb in die Kasse schaffen? Wir wollten es lieber direkt von der Industrie nehmen. Wenn das transparent geschieht und möglichst viele Unternehmen sich daran beteiligen, schien uns die Unabhängigkeit der Redaktion ausreichend gesichert. Die Erfahrung lehrt, dass die Überlegung stimmt. Denn unser Weg ist inzwischen akzeptiert und bewährt. Bei einem Konzept wie den unseren hat die Industrie die Rolle des Verlegers übernommen und stützt mit monatlichen Beträgen die Arbeit unserer Redaktion.

Dennoch: Der Chefredakteur auf der Suche nach Sponsoren – das bleibt ein Stachel im Fleisch für jemanden, der früher die Kollegen aus der Anzeigenabteilung nicht einmal beim Namen kannte. Die waren für das zuständig, was „unter dem Strich“ stattfand: Anzeigen, Bekanntmachungen, Roman und Kreuzworträtsel. Heute ist die Grenze aufgelöst. Vieles wandert nach oben, über den Strich, damit die Rechnung unter dem Strich stimmt. Das muss einer nicht mögen, wenn er es anders kennengelernt hat.

Am Beispiel Auto und Mobilität lässt sich zeigen, wie Journalisten ihre Rolle als sachkundige Betrachter mit Distanz auch in ganz anderen Themenfeldern bis hin zu Politik und Wirtschaft aufs Spiel setzten. Schon als Jungredakteur sträubten sich mir die damals noch langen Nackenhaare, wenn Kraft Amtes der Chefredakteur ein Auto-Thema kommentierte. Bis heute dürfen sich die Autoexperten einer Redaktion nur in Ausnahmefällen mal an einen Kommentar wagen. Sonst sticht Ober den Unter; die Kommentarspalten sind fest in den Händen der Kollegen in den Politik- und Wirtschafts-Ressorts. Und die Fachkollegen haben es ertragen, hoffentlich wenigstens mit Schmerzen.

Der Marsch durch die Instanzen brachte eine Generation an die Redaktionsschreibtische, für die Umweltschutz zum alleinigen Maßstab zu werden schien. In den meisten Redaktionen hieß das nichts Gutes fürs Auto, und schon gar nicht für die Auto-Journalisten. Die sahen sich forthin als Vertreter einer politisch unkorrekten Mobilität geoutet, die sich aufs Beschreiben von Autos beschränken sollte. Das Abgas allerdings gehörte in die Politik.

Parallel revolutionierten Internet und Privatfunk die Arbeitsweisen der Menschen in den Medien ebenso wie das Verhalten von Lesern und Zuschauern. Quote bringt Geld. Infotainment geht vor Information. Auch ein Fake ist eine gute Nachricht. Ein Statement ist billiger als eine Recherche. Es ist einfacher, nach dem Qualitätsjournalismus zu rufen als ihn zu finanzieren. Das klingt alles ebenso richtig wie falsch; für alles lassen sich Belege finden, auch dafür, dass längst nicht alle Menschen kritiklos in Echoblasen leben.

Angesichts der Nachrichtenflut und der vielen Versuche, uns für dumm zu verkaufen, müsste es doch einen ständig wachsenden Bedarf an Medien geben, die wieder die alte Rolle von Tageszeitungen und Magazinen übernehmen – als der verlässliche Filter, der aus dem Überangebot nur das durchlässt, was erstens vertrauenswürdig und zweitens für den Leser relevant ist. Niemand will Tag für Tag vom Überangebot blockiert werden. Niemand will sich mit Mist auseinandersetzen müssen, den sachkundige Menschen schon als solchen identifiziert und aussortiert haben.

Trotz der Flut an Information, Desinformation und Unterhaltung – der Weg scheint noch lang. Heute gewinnt immer noch der Kommunikator den Tagessieg, der es mit einem von ihm selbst gesetzten Thema in die Tagesschau schafft. Das gelingt immer wieder überraschend leicht. Zum Beispiel bei einem Zusammenspiel, dem wir nahezu täglich zuschauen können: Vor den Korrespondenten in Berlin – zum Beispiel in einem von der „Bundespressekonferenz“ gemieteten Konferenzsaal – setzt jemand ein Thema. Und die Herren Politik- und Wirtschafts-Korrespondenten finden, das gehöre nach ganz oben. Nur selten bekommt in der Zentralredaktion ein Fachmann die Chance, sich gegen die eigenen Korrespondenten zu behaupten. Das Thema läuft und hat die gute Chance, als Sturm durch das Land zu brausen, weil nun ein Statement das nächste jagt.

So erleben wir es jeden Tag, ohne dass der normale Leser die Möglichkeit hätte, diesen Mechanismus zu durchschauen. So konnte ein Verein unsere Wirtschafts- und Umweltpolitik beeinflussen und es sogar schaffen, einem ganzen Industriezweig Zukunftschancen abzusprechen. Letztlich treibt dann ein einzelner Mensch die Medien und die Politiker vor sich her, gestützt auf eine höchst zweifelhafte demokratische Legitimation – in diesem Fall rund 270 Mitgliedern. Andere treiben das Spiel auch nicht anders als die Deutsche Umwelthilfe, freuen sich ihres Erfolgs und leben gut davon.

So ist das. Und was folgt daraus für den Macher eines kleinen, aber erfolgreichen Mediums, dass sich mitten im Internet-Zeitgeist tummelt, trotzdem nicht im Mainstream ersaufen will und von seinen Sponsoren nicht nur finanziert, sondern auch geachtet werden möchte?

Wir ziehen die Mauer zwischen Redaktion und deren Finanzierung wieder hoch. Im Grunde unseres Herzens wissen wir, dass es sich bei so erzieltem Gefühl von größerer Unabhängigkeit nur um eine Illusion handelt. Das war in den alten Zeiten nicht anders, aber es half Redakteuren wie Lesern, Vertrauen aufzubauen.

Wir bauen das Netzwerk aus kompetenten und akzeptierten Autoren um Peter Schwerdtmann und Jens Meiners aus, weil wir Fachwissen als Schutz vor dem Druck des Mainstreams erleben. Heute schon dabei:

Oliver Altvater
Ralf Bielefeldt
Axel F. Busse
Jeff Jablansky, USA, Juror World Car of the Year
Ute Kernbach
Michael Kirchberger
Jens Meiners, Deutschland, USA, Director World Car of the Year
Gerhard Prien
Hans-Robert Richarz
Jens Riedel
Peter Schwerdtmann, Juror World Car of the Year
Nicole Schwerdtmann-Freund
Alexander Voigt
Frank Wald
Walther Wuttke

Wir sehen die besonderen Stärken der Autoren unseres Netzwerks bei Vorab- und Hintergrundgeschichten, bei Interviews, Glossen, Kommentaren, Reportagen, Features, Produktbewertungen und Tests – stets aus der ersten Reihe.

Wir etablieren Car-Editors.Net als Premium-Portal mit einer Auslese wichtiger Artikel unserer Autoren. Wir räumen der Aktualität einen hohen Stellenwert ein und verzichten deswegen bei unserem Medium „Car-Editors.Net“ darauf, mit einem zeitlichen Vorlauf für Abonnenten Extra-Honorar zu generieren.

Was will der Kleine (Nestor oder Dinosaurier) denn? Bevor nun jemand angesichts des Anspruchs dieser Zeilen ein mitleidiges Lächeln aufsetzt, sei daran erinnert, dass unsere Medien zu den Großen ihrer Szene zählen. Drei Jahre vor meinem 50. „Bühnenjubiläum“ geht es mir aber nicht um Zahlen oder Größe, sondern um Grundsätzliches. Ich finde die alten Regeln – allen neuen, virtuellen, sozialen Medien und ihren Managern zum Trotz – des Erinnerns wert.

Der Mensch sucht Orientierung – sei es nun als Journalist oder als Leser. Das Internetportal von Profis bietet beiden die zeitgemäße Form, die Rolle vom Journalisten als ehrlichem Makler zwischen der Information und dem Leser neu zu beleben. Das war mein Rollenverständnis als Einsteiger. Das wird es bleiben. Jetzt erst recht, da mir die Chirurgen mein Rückgrat zurückgegeben haben und ich den aufrechten Gang wieder genießen kann.

Ich bleibe am Ball.


Wenn Sie der Artikel für Ihr Medium interessiert, registrieren Sie sich bitte hier!
Dann können Sie den Artikel oder die Bilder und Videos herunterladen.


Bilder zum Artikel

Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net


Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net


Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net


Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net


Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net