Autoland Brasilien (2): Im VW-Werk Resende tragen Subunternehmer die Verantwortung

Knapp zweieinhalb Autostunden südwestlich von Rio de Janeiro eröffnete VW im November 1996 in der 80 000-Einwohnerstadt Resende eine revolutionäre neue Fabrik. Das Werk verfügte über keine herkömmliche Montagelinie, an der Volkswagen-Beschäftigte arbeiteten. Tatsächlich stand nur das Personal der Qualitätskontrolle auf der VW-Gehaltsliste. Für die Montage der Lastwagen und Omnibusse, die in Resende gefertigt wurden, waren unabhängige Subunternehmer verantwortlich. Volkswagen bezeichnete diese Produktionsweise als „modulares Konsortium“. Sie wird auch heute noch bei Volkswagen Caminhoes e Onibus (MAN) eingesetzt. Das jüngste Projekt aus Resende ist der elektrisch angetriebene Laster e-Delivery.

Das modulare Konsortium-System war für Volkswagen von Anfang an enorm profitabel. Das Unternehmen konnte bei seinen Subunternehmern niedrigste Preise für Ersatzteile und Arbeitskraft aushandeln. Wettbewerber, die dieses System nicht nutzten, gerieten ins Hintertreffen. Der Kopf hinter der Idee war der damalige Einkaufsleiter von VW, Jose Ignacio Lopez de Arriortua, der drei Jahre zuvor von General Motors gefeuert worden war und danach unter anderem streng geheime Dokumente, Pläne und Baupläne für eine Fabrik mitgenommen hatte. Sie waren laut GM verblüffend denen ähnlich, die VW für das Werk in Resende verwendete. Ende 1996 sahen sich Lopez und VW in Deutschland und den USA mit Spionagevorwürfen konfrontiert. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, nachdem Lopez VW unrühmlich verlassen musste.

Heute geht in Resende wieder alles mit rechten Dingen zu. Das Unternehmen stellte in den vergangenen 20 Jahren über 750 000 Nutzfahrzeuge her und lockte zugleich fünf weitere Automobilproduzenten und zahlreiche Zulieferbetriebe in die Gegend.

Das Subunternehmer-System hat sich längst eingespielt. Die Partnerfirma Maxion Cruzeiro liefert strukturelle Komponenten für Fahrgestelle und dazugehörige Teile. Meritor ist verantwortlich für die Montage von Aufhängungen und Achsen, Remon für Räder und Reifen. Ein Joint Venture von Cummins und MWM International liefert Getriebe und Kupplung. Aethra liefert Stanzteile, montiert die Kabine und ist für den gesamten Schweißprozess sowie für die Endbearbeitung der Bleche zuständig. Carese sorgt für die Oberflächenvorbereitung und Lackierung, Continental installiert elektronische Teile sowie die Innen- und Außenverkleidung der Kabine. Dabei handelt es sich samt und sonders um einheimische Betriebe oder Tochtergesellschaften multinationaler Konzerne.

„Die größte Herausforderung bestand darin, die Partner von der revolutionären Idee zu überzeugen, die eine aktive Beteiligung, eigene Investitionen und persönliches Engagement für den Aufbau eines neuen Geschäfts- und Produktionsmodells erforderte“, erinnert sich Roberto Cortes, Sprecher der Geschäftsführung von MAN Latin America und Mitglied der Geschäftsführung der Volkswagen Truck & Bus GmbH und der MAN SE. „Von Anfang an haben wir maßgeschneiderte Produkte für neue Segmente und Marktnischen entwickelt. Dafür hat uns das modulare Konsortium mehr Flexibilität und Effizienz eröffnet.“

Die jüngste Schöpfung der Nutzfahrzeugsparte von Volkswagen in Brasilien, die von MAN geführt wird, ist der e-Delivery, der erste, rein elektrisch angetriebene Elektro-Lkw seiner Kategorie, der vollständig im Land entwickelt wurde. Mit speziell auf die Bedürfnisse von Schwellenländern maßgeschneiderten Technologien erfüllt er globale Technologiestandards: Das Fahrzeug passt mit intelligenten Systemen den Batteriebedarf je nach Betriebssituation an und gewinnt Strom aus Bremsenvorgängen zurück. Der e-Delivery ist mit einem 80 kW / 109 PS starken Elektromotor ausgerüstet, verfügt über eine Reichweite von bis zu 200 Kilometern und wird in einer Neun- oder Elf-Tonnen-Version und einer Zuladungsmöglichkeit von 4,5 bis 6,7 Tonnen Nutzlast angeboten. Zudem erlaubt er zwei unterschiedliche Auflademöglichkeiten. Eine schnelle Wiederaufladung ermöglicht eine Auffrischung der Batterie auf eine Ladung von 30 Prozent in nur 15 Minuten und kann mehrmals entlang der Route des Fahrzeugs durchgeführt werden. Eine vollständige Ladung dauert laut Werksangaben drei Stunden. Damit bietet er sich besonders für den innerstädtischen Lieferverkehr an, wo emissions- und lärmarmer Verkehr gefragt ist.

Während die konventionellen Diesel-Versionen des Delivery bereits in Südamerika ausgeliefert werden, soll die E-Version ab 2020 zu haben sein. Der e-Delivery ist als ein wahrer World-Truck geplant und soll in über 30 Ländern weltweit Kunden finden. Wie auch der konventionelle Delivery hat der e-Delivery zunächst den brasilianischen und danach den kompletten lateinamerikanischen Markt im Auge. „Es besteht die große Chance, das Fahrzeug auch in Europa zu sehen", glaubt Volkswagens Lkw-Chef Andreas Renschler. Für Volkswagen Caminhoes e Onibus in Resende wäre das ein historischer Erfolg.

In der nächsten Folge der Serie über Brasiliens Automobilindustrie geht es um das Forschungs- und Entwicklungszentrum von Fiat Chrysler sowie den Automobil-Simulator des Unternehmens in Belo Horizonte, den wichtigsten und modernsten seiner Art in Lateinamerika. (ampnet/hrr)


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Bilder zum Artikel

Volkswagen e-Delivery.

Volkswagen e-Delivery.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


Volkswagen e-Delivery.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


Volkswagen e-Delivery.

Volkswagen e-Delivery.

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Volkswagen E-Delivery.

Volkswagen E-Delivery.

Foto: Auto-Medienportal.Net


Volkswagen E-Delivery.

Volkswagen E-Delivery.

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Volkswagen Delivery.

Volkswagen Delivery.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


Fahrzeuge von Volkswagen Caminhoes e Onibus in Brasilien.

Fahrzeuge von Volkswagen Caminhoes e Onibus in Brasilien.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


Volkswagen Caminhoes e Onibus in Resende.

Volkswagen Caminhoes e Onibus in Resende.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


Volkswagen Caminhoes e Onibus in Resende.

Volkswagen Caminhoes e Onibus in Resende.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen