Wiener Motorensymposium 2018: Eine Branche wehrt sich – heftig

Es war sicher kein gutes Jahr für den Verbrennungsmotor: „Vom Enabler zum Verschmutzer“, beschrieb der langjährige Leiter des Symposiums, Professor Hans Peter Lenz, die Situation in seinem Einführungsvortrag. Seit dem letztjährigen Symposium haben sich die Auswirkungen des Dieselskandals nochmals verschärft: Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Klage der „Deutschen Umwelthilfe" hin den Weg für Diesel-Fahrverbote freigemacht, wobei Einschränkungen und Nuancen in der Diskussion untergehen. Politiker wie Umweltministerin Svenja Schulz fordern extrem aufwendige Gebrauchtwagen-Nachrüstungen für Abgaswerte, die zum Zeitpunkt ihrer Zulassung gar nicht existierten.

Es war aber auch kein gutes Jahr für die als umweltfreundlich titulierte Elektromobilität. Trotz des politischen und medialen Rückenwinds verharren die Verkaufszahlen auf niedrigem Niveau. Dort, wo die E-Mobile dank gewaltiger Subventionen nennenswerte Stückzahlen erreichen, etwa im reichen Öl- und Wasserkraft-Land Norwegen, tauchen Probleme auf. Die Fahrzeuge bewähren sich im Feld nur unzureichend, während das Stromnetz zum Teil an sein Grenzen stößt.

Hinzu kommt, dass die vermeintliche Vorzeigefirma Tesla durch vielfach gebrochene Versprechen und einen katastrophalen Anlauf der Mittelklasse-Limousine Model 3 für Negativ-Schlagzeilen sorgt. Mittlerweile interessiert sich die Presse mehr für die Restwertzeit der Tesla-Aktie als für die Produkteigenschaften des Model 3, über die Fachjournalisten sich anhand von geliehenen Privatfahrzeugen informieren muss. Denn für objektive Testfahrten von Fachleuten stellt die US-Firma keine Fahrzeuge mehr zur Verfügung.

Die Industrie in der Falle

Unterdessen steht die Autoindustrie unter enormem Zugzwang. Sollten die ehrgeizigen Verbrauchs- und Emissionsvorgaben der EU-Bürokratie, die für Elektroautos den Emissionswert „null" annehmen und Plug-in-Hybride gegenüber konventionellen Verbrennern stark bevorzugen, verfehlt werden, so drohen Strafzahlungen, die selbst gestandene Konzerne in die Knie zwingen können. Auch China verlangt E-Quoten, wenngleich die Prognose wegen des stockenden Ausbaus der Ladestruktur inzwischen unsicher geworden ist. Nur die USA signalisieren unter dem neuen EPA-Chef Scott Pruitt Entspannung.

Jetzt geht die Branche in die Offensive. Die Abgasthematik sowohl beim Diesel- als auch beim Ottomotor sei mittlerweile gelöst, betonen die Entwickler und unterlegen dies auf dem Wiener Motorensymposium in zahlreichen Fachvorträgen mit Daten und Messergebnissen. Bosch will die relevanten Emissionen mit einem intelligenten Thermomanagement weit unter die Grenzwerte gedrückt haben und zwar ohne neue Hardware-Lösungen.

Weitgehendes Lob gibt es für den neuen RDE-Zyklus, mit dem reale Emissionen in den verschiedensten Fahrzuständen gemessen werden. Dieser ganzheitliche Ansatz führt von der sehr spitzen Entwicklung auf die einst von der Politik definierten Prüfstands-Szenarien weg. Die hatten nicht unwesentlich zu den bisherigen Problemen beigetragen.

Die Diskussion muss ehrlich werden

Professor Helmut List, Chef des Entwicklungsdienstleisters AVL List, beklagt die aktuelle Fokussierung auf „Tank-to-Wheel"-Emissionen, bei denen die Elektromobilität naturgemäß gut abschneidet, weil die Emissionen woanders entstehen. Tatsächlich liege der Verbrennungsmotor bereits auf einem extrem niedrigen Schadstoffemissionsniveau und habe langfristig „Zero-Impact"-Potential. Mittelfristig ist deshalb „eine Well-to-Wheel-Betrachtung zu erwarten und zu fordern", so List. Noch umfassender und auch denkbar sei eine „Lifecycle-Betrachtung", die auch als „Cradle-to-Grave"-Betrachtung bezeichnet wird. Hier fließen die enormen Umweltbelastungen durch Produktion, Betrieb und Entsorgung von Elektrofahrzeugen mit in die Betrachtung ein. Für List ist klar: Man kann es sich nicht leisten, den Verbrennungsmotor zu disqualifizieren oder aus dem Wettbewerb herauszunehmen.

Sowohl beim Otto- als auch beim Dieselmotor gibt es noch Entwicklungspotentiale. Dazu zählt die 48-Volt-Hybridisierung mit Starter-Generator-Systemen, die Boost-Funktionen übernehmen können. Beim Ottomotor lassen sich durch Hochdruck-Einspritzung, variable Verdichtung und Wasserstoffeinspritzung weitere Fortschritte erzielen. Als echter „Game Changer" könnten sich synthetische Kraftstoffe und Erdgas-Motoren erweisen.

Eine Batterie von Verbrennern

Kein Wunder also, dass auch heuer in Wien zahlreiche vielversprechende Verbrenner-Konzepte vorgestellt wurden. Dazu zählten der 1,5-Liter-Turbo-Erdgasmotor von Volkswagen mit variablem Turbolader und Miller-Brennverfahren. Außerdem stellten die Wolfsburger einen 2,0-Liter-TDI mit Mild-Hybridisierung vor und kündigten an, den kommenden Golf VIII mit einem 48-Volt-Mild-Hybrid-System anzubieten. Im Übrigen: „Wir wissen, dass der Diesel am effizientesten ist."

Ford präsentierte einen 1,0-Liter-Erdgasmotor mit 150 PS / 110 kW, Hyundai/Kia gewährte einen Ausblick auf die neue 1,6-Liter-Ottomotoren-Generation namens „Smart Stream", und Fiat-Chrysler reüssierte mit einer drei- und vierzylindrigen Motorenfamilie namens GSE. Die Ansage von Chefingenieur Carlo de Marino war unmissverständlich: Diese Motoren werden erwartungsgemäß über 2025 hinaus Verwendung finden.

Und auch die deutschen Hersteller können es noch: Der aktuell 450 PS / 331 kW starke 2,9-Liter-V6-Biturbo von Audi soll mit einer 48-Volt-Hybrid-Ausbaustufe kommen, und BMW berichtete über den 530 PS / 390 kW starken 4,4-Liter-V8, der in der kommenden 8er-Baureihe lanciert wird. Daimler gab ebenfalls einen spannenden Ausblick auf kommende Diesel- und Ottomotoren.

Die E-Mobilität schafft es nicht

Natürlich hat auch die E-Mobilität noch Entwicklungspotential. Neue Batteriekonzepte, die angeblich immer gerade vor der Tür stehen, sollen eine höhere Energiedichte bieten. Die liegt zur Zeit auch bei den besten Batterien 25fach niedriger als bei Dieselkraftstoff. Und die Öffentlichkeit harrt einer Lösung der Rohstoffproblematik, die sich zunehmend als geopolitisches Wirtschafts-, Umwelt- und Menschenrechtsfiasko entpuppt.

Die Autohersteller, die bereits Milliarden in das Thema versenkt haben, üben sich in Zweckoptimismus: Wer einmal ein Elektroauto gefahren sei, kehre nicht mehr zum Verbrenner zurück, behauptet ein Vortragender aus dem Hause BMW. Und Porsche-Chef Oliver Blume beteuert, der neue Mission E fahre sich wie ein echter Sportwagen. Auf Nachfrage von Motoren-Koryphäe Friedrich Indra muss er präzisieren: Man könne damit zehnmal von 0 auf 100 km/h oder viermal von 0 auf 200 km/h hochbeschleunigen, bevor das Auto in ein Not-Sparprogramm umschaltet. Das bedeutet: Für eine Runde auf der Nordschleife dürfte es nicht reichen.

Die Politik blockiert

Kein Wunder, dass die versammelten Entwickler ihre Verwunderung über die autofeindliche politische Diskussion zum Teil kaum verbergen konnten. Angesichts der Faktenlage müsse die Verteufelung des Verbrenners zurückgenommen werden. Die Einfahrbeschränkungen in Innenstädte grenzten an eine automobile Apartheid. Und die Partikeldiskussion? Hier sollte man sich vielleicht eher auf Fahrräder konzentrieren, so der sarkastische Einwand eines Forschers. Die Emissionen durch Brems- und Felgenabrieb der Drahtesel lägen mittlerweile höher als die Emissionen durch moderne Autos. Was die E-Mobilität betrifft, herrscht Skepsis: „Kein Autohersteller kann sich die Infrastruktur leisten und auch keine Kunde", gibt ein Manager zu bedenken. Ein anderer sagt: „Gott sei Dank müssen wir nicht in Produktionsanlagen investieren."

Unterdessen gewährte ein VDA-Vertreter interessante Einblicke in die politischen Entscheidungsmechanismen in Berlin. Dabei erwähnte er einige der wenigen Messpunkte, an denen überhaupt noch die NOx-Grenzwerte überschritten werden. In Kiel etwa werde am Theodor-Heuß-Ring 600 Meter vom Hafen entfernt gemessen, wobei noch ein Bahnhof dazwischenliege. Hier werden der Autoindustrie die Emissionen durch Dieselloks und Schiffahrt untergeschoben. In Köln wird am Kleveschen Ring an einer Stelle gemessen, an der sich wegen der Sperrung der Leverkusener Brücke der internationale Schwerverkehr vorbeizwängt. Und die „rote Laterne" München messe am Endpunkt von drei Autobahnen: „Die Städte wollen mit der 'blauen Plakette' andere Probleme lösen, nämlich ihr Verkehrsproblem." Bundeskanzlerin Merkel wiederum stehe auf dem Standpunkt, sie könne das Thema der fehlplazierten Messpunkte nicht anpacken. Dies müsse von den Umweltverbänden kommen.

Doch es gibt, auch dies war in Wien zu hören, inzwischen auch nachdenkliche Politiker. In den Diskussionen setze sich langsam aber sicher die Erkenntnis durch, dass die E-Mobilität als Allheilmittel untauglich ist. Im Jahr 2020 wird der Zeitpunkt erreicht, zu dem eigentlich eine Million Elektroautos auf der Straße sein sollten. Dieses Ziel wird, das lässt sich mit Sicherheit sagen, weit verfehlt. Und dann dürfte eine breite Diskussion darüber einsetzen, welche Rolle die einzelnen Technologien im Individualverkehr der Zukunft spielen sollen. Sie käme keinen Augenblick zu früh. Und die Erkenntnisse des diesjährigen Motorensymposiums könnten dabei eine entscheidende Rolle spielen. (ampnet/jm)


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Wiener Motorensymposium 2018.

Wiener Motorensymposium 2018.

Foto: Auto-Medienportal.Net


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