Goodwood Festival of Speed und Porsche: Nummer 1 lebt
10. Juli 2018 Von Tim Westermann
911, 356 oder 962 – diese Zahlen stehen für einen Mythos. Der Sportwagenbauer Porsche schreibt seit 70 Jahren seine ganz eigene Erfolgsgeschichte. Der Beginn lag allerdings nicht am heutigen Stammsitz in Stuttgart Zuffenhausen. Das erste Modell entstand in einem damals verschlafenen Örtchen mitten im Nirgendwo Österreichs.
In der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 1944 hatten Bomben auf das Werksgelände der Firma Porsche in Stuttgart alles zerstört; Reparaturteile für Volkswagen und Volksschlepper, technische Zeichnungen und Akten verbrannten. Das Porsche Konstruktionsbüro suchte daraufhin einen anderen Standort. Zunächst plante Ferry Porsche, die Konstruktion und Verwaltung in die Nähe des Familienanwesens „Schüttgut“ bei Zell am See zu verlegen. Er fand eine Flugschule, die geeignet schien. Doch der Platz dort reichte nicht aus.
In Kärnten sah es besser aus: Im kleinen Gmünd kaufte Porsche Gelände und Gebäude der „W. Meinecke Holzgroßindustrie Berlin-Gmünd“ auf. Etwa die Hälfte der inzwischen 588 Porsche-Mitarbeiter siedelte nach Österreich um. In Gmünd entstanden zahlreiche Behelfswerkstätten und in der Flugschule in Zell am See fand das Materiallager Unterkunft. Das provisorische Porsche-Werk in Gmünd erhielt von seinen Mitarbeitern einen Spitznamen: Vereinigte Hüttenwerke.
Die Arbeit in Gmünd litt allerdings unter der Materialknappheit nach Kriegsende. Zwar erlaubten es die Alliierten 1945 den rund 140 verbliebenen Porsche-Mitarbeitern, ihre Arbeit dort wiederaufzunehmen. Doch es mangelte an allen Ecken und Enden. Und dann fehlten zu allem Überdruss auch noch die Chefs: Ferdinand Porsche und sein Sohn Ferry folgten im November 1945 der Einladung einer französischen Kommission nach Baden-Baden und wurden dort vom französischen Geheimdienst verhaftet. Ferry kam im März 1946 aus dem Gefängnis frei, sein Vater Ferdinand jedoch erst im August 1947. In der Zwischenzeit trug Ferry Porsche die ganze Verantwortung: „Nach dem Krieg wurde es für mich ernst, denn nun kam es alleine auf meine Initiative an.“
Ferry Porsche nutzte die Zeit im österreichischen Exil intensiv. Ihm schwebte schon seit geraumer Zeit ein eigener Sportwagen vor. Im Juli 1947 wurden die ersten Konstruktionszeichnungen für den Typ 356 VW-Sport fertiggestellt. Aus dem Projekt entwickelte sich schließlich der Porsche 356 „Nr. 1“ Roadster mit Mittelmotor. Er blieb ein Einzelstück, ist aber das erste Fahrzeug, das den Namen Porsche trägt. Gmünd in Kärnten ist damit die Keimzelle aller Porsche-Sportwagen.
Die in Manufaktur gefertigte „Nummer 1“ rollte 1948 aus der Produktion und erhielt Mitte Juni die Betriebserlaubnis. 70 Jahre später brachte Porsche das Original-Fahrzeug mit der Nummer 1 zurück an seine Geburtsstätte, um erneut die rund 250 Kilometer der letzten Abnahmefahrt aus dem Jahr 1948 zu erkunden. Auf eigener Achse rollte der weltweit erste Porsche, begleitet von neun Klassikern und neuen Typen aus sieben Dekaden Porsche-Historie, auf alten Fährten ohne technische Probleme bis ins Ziel.
Dabei blickt die „Nummer 1“ auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Mehrfach wechselte dieser Roadster den Besitzer, wurde Opfer von Beschädigungen und zum Teil umgebaut. Das Zuffenhausener Unternehmen besinnt sich im Rahmen „70 Jahre Porsche“ auf seine Wurzeln und zeigt den Prototypen mit der Fahrgestellnummer 356-001 weltweit der breiten Öffentlichkeit.
Ferry Porsche, Vater des 356, hätte es gefreut. Denn sein Traum vom eigenen Sportwagen nahm im Sommer 1947 unter der Projektnummer 356.49.001 Anlauf. Die Maßzeichnung vom 6. Januar 1948 zeigt einen zweisitzigen Roadster mit Gitterrohrrahmen und Mittelmotor. Es ist ein Grundkonzept aus dem Rennwagenbau. Von der Karosserie abgesehen, waren weitestgehend Volkswagen-Komponenten für Motor, Getriebe und Fahrwerk vorgesehen, die Porsche-typisch modifiziert wurden. Bereits im Februar 1948 war ein fahrbereites Fahrgestell fertiggestellt, für das wenig später ein schnittiger Roadster-Aufbau aus Aluminium angefertigt wurde.
Im Juni 1948 erhielt der Prototyp die allgemeine Betriebserlaubnis der Kärntner Landesregierung. Dieses Datum gilt seitdem als die Geburtsstunde der Marke Porsche. Denn erstmals trug eine Entwicklung des renommierten Konstruktionsbüros auch den Namen der Familie. Die Leistungsdaten ließen die Sportwagenenthusiasten seinerzeit aufhorchen: Der aus einem Volkswagen stammende Vierzylinder-Boxermotor wurde von 24,5 PS (18 kW) auf 35 PS (26 kW) gesteigert, denen nur 585 Kilogramm Leergewicht gegenüberstanden. Der Roadster erreichte damit spielend die Fahrleistungen weitaus stärkerer Konkurrenten und beeindruckt damit selbst noch heute.
Da das junge Unternehmen Geld benötigte, um weitere Fahrzeuge bauen zu können, verkaufte Porsche den Prototyp noch am Tag der Zulassung für 7000 Schweizer Franken an den Unternehmer Rupprecht von Senger. Der Prototyp wechselte anschließend mehrfach den Besitzer. Nach einem Auffahrunfall wurde der Porsche 356 „Nr. 1“ Roadster repariert. Auf Wunsch des Eigentümers wurden dabei Front- und Heckpartie der Serienversion des Porsche 356 angeglichen. Unter anderem entstand dabei ein flacherer Bug und eine zwei- statt einteilige Heckabdeckung. 1952 erhielt der Prototyp außerdem einen 1,5-Liter-Motor sowie hydraulische Bremsen. 1958 tauschte Richard von Frankenberg, Rennfahrer und Chefredakteur des „Christophorus“, den 356 „Nr.1“ Roadster gegen einen 356 Speedster ein.
Seither ist Porsche eines der ganz wenigen Automobilunternehmen weltweit, das noch über das erste jemals gebaute Fahrzeug der Marke verfügt. Als Original mit gelebter Geschichte wird der 356 „Nr.1“ Roadster nicht in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt, sondern aus Respekt vor seiner bewegten Vergangenheit in seinem heutigen Zustand einschließlich aller Umbauten und Veränderungen belassen.
Der erste jemals gebaute Porsche ist nach wie vor voll funktionsfähig. Im Jubiläumsjahr 2018 wird er im Rahmen einer Welttour nicht nur bei verschiedenen Events zu Gast sein, sondern auch bei historischen Rennen wie eben dem Goodwood Festival of Speed. Nur geht es für ihn, im Gegensatz zum Volkswagen I.D. R Pikes Peak, nicht um die Jagd nach Rekorden. Vielmehr besitzt die „Nummer 1“ bereits jetzt einen ganz eigenen Rekord der ihm nicht zu nehmen ist. Nämlich der erste noch fahrbereite Klassiker seiner Marke zu sein. (ampnet/tw)
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Porsche "Nummer 1" mit historischen und gegenwärtigen Modellen vor dem Start in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1".
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1" mit historischen und gegenwärtigen Modellen.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1".
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1".
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1".
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1".
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche "Nummer 1".
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Ortseinfahrt Gmünd heute.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Mitarbeiter von Porsche im Konstruktionsbüro in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Altes Konstruktionsbüro von Porsche in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Fertigung der ersten 356-Modelle in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Alte Produktionsstätte der ersten 356-Modelle in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Porsche 356 auf dem alten Produktionsgelände in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Geburtshaus des 356: Altes Porsche Konstruktionsbüro in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Ferdinand Porsche mit Mitarbeitern am Reißbrett im Konstruktionsbüro in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Ferdinand Porsche (links) und Ferry Porsche.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Ferdinand Porsche.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche
Ferdinand Porsche (von rechts nach links) und Ferry Porsche neben dem Porsche Prototyp "Nummer 1" in Gmünd.
Photo: Auto-Medienportal.Net/Porsche