Kommentar: „Das ist erbärmlich!“

Die Empörung ist durchgängig: Das Verhalten der Automobilindustrie zur Hardware-Nachrüstung alter Dieselmotoren ist ein Skandal, ein neues Kapitel in der scheinbar unendlichen Reihe von Verfehlungen und Peinlichkeiten. Kaum liegen die technischen Regeln für die Zulassung von Nachrüstungssätzen vor, prallen sie auf die Ablehnung der Industrie. Sie rät ab, zweifelt den Nutzen an, warnt vor Schäden an den Motoren, weigert sich, die Garantie zu übernehmen und ist nicht einmal bereit, den Nachrüstern die Daten zu geben, die sie für die Entwicklung der Nachrüstsätze brauchen.

Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK), Axel Koblitz, nahm gestern kein Blatt vor den Mund und polterte in Richtung Wolfsburg: „Erst streuen sie die Infektion, und dann warnen sie vor dem Medikament. Das ist erbärmlich!“ Starke Worte, aus denen vermutlich weniger moralische Entrüstung spricht als dier Enttäuschung, dass das Geschäft mit der Nachrüstung nun doch nicht umgehend auf die ZDK-Werkstätten zukommt. Dennoch: Der Koblitz-Satz ist so etwas wie die Kurzfassung der aktuellen Diskussion, verbunden mit der Frage: Ist das ein Urteil oder ein Vorurteil?

Man muss nicht Resch heißen und die Deutsche Umwelt-Hilfe anführen, um die Koblitz-Meinung zu teilen. Die Republik und ihre veröffentlichte Meinung ist in dieser Sache so einig, dass ein Blick auf die Hintergründe überflüssig erscheint. Wir wollen den dennoch wieder wagen:

Kein alter Diesel wird mit Software- oder Hardware-Nachrüstung die aktuelle Abgasnorm Euro 6d-Temp erfüllen können. Das ist mit Nachbesserungen bei alten Motorenkonzepten unmöglich, sondern ausschließlich mit neuesten Motor- und Abgas-Gesamtkonzepten erreichbar. Wer die neue Norm erreichen oder übertreffen will, kann das nur mit neuen Autos. Daran ändert auch der Hinweis nicht, dass nicht jeder sich das leisten kann oder will. Dennoch ist das Fakt. Bei Volkswagen haben übrigens inzwischen mehr als 200 000 Käufer von dem Tauschangebot Gebrauch gemacht.

Für diese neuen Autos wird die Industrie auch die Garantie für mehr als fünf Jahre oder 100 000 Kilometer übernehmen können. Anders bei den alten Fahrzeugen. Die waren nie für Euro-6 vorgesehen. Nach einer Umrüstung durch Dritte soll dennoch der Fahrzeughersteller für fünf Jahre garantieren, ohne zu wissen, wie alt das Fahrzeug beim Umbau war, wie viele Kilometer es schon hinter sich hat oder wie es behandelt und gepflegt wurde. Das kann keiner wagen, ohne in ein unübersehbares Risiko zu laufen.

Neben diesen Punkten, für die Logik und Lebenserfahrung sprechen, gibt es auch noch Recht und Gesetz. Danach unterliegt jeder Hersteller der Produktbeobachtungspflicht. Die Folgen sind bei der Nachrüstung wie beim Tuning identisch: Sowie eine Nachrüstung durch Dritte durch die Mitwirkung des Automobilherstellers – zum Beispiel durch Übermittlung von Fahrzeugdaten – unterstützt wird, entsteht automatisch eine Prüfpflicht. Die Hersteller müssten dann Risiken absichern, die durch Dritte erzeugt werden.

Es ist typisch für die gesamte Diskussion um den Diesel: Niemand spricht über die Rahmenbedingungen. Das war schon beim Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) so. Dass dessen Prüfvorschriften zu Verbrauchsangaben führen mussten, die deutlich unter den Werten in der Praxis waren, wusste jeder, der es wissen wollte. Fachmedien, Verbände und Hersteller haben das tausendfach herausgestellt. Und trotzdem hängte die Diskussion die Hersteller am NEFZ-Haken auf.

Es ist immer wieder erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit gerade beim Auto die alte Weisheit bestätigt wird, nach der Meinungen stärker sind als Tatsachen. Ein ehemaliger Chefredakteur eines Hamburger Boulevardblattes hat es einmal auf den Punkt gebracht als er sagte, man dürfe nur so lange recherchieren, bis die Geschichte zusammenzubrechen drohe.

Mir ganz persönlich ist es peinlich, dass fast jeder Kommentar zu diesem Themenkomplex mit Medienschelte enden muss. (ampnet/Sm)


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Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net