Kommentar: Jedem seinen Prügelknaben!

In den Schlössern der Vergangenheit bekam der Prügelknabe die Strafe zu spüren, die eigentlich für den Junior des Hauses gedacht war. Irgendwo musste die Wut der Erzieher ja bleiben. Und Knaben zum Verprügeln hatten die genug im Zugriff. Körperliche Züchtigung ist hierzulande inzwischen verboten. Doch der Brauch, anderen erst die Verantwortung aufzuladen und dann der öffentlichen Verachtung auszusetzen, hat sich weltweit erhalten – bei Männlein und Weiblein. Mary Barra, die Chefin des US-Autoriesen General Motors (GM), stellt nun ebenfalls den Verbrennungsmotor an den Pranger. Auch sie kündigt dem geifernden Publikum die öffentliche Hinrichtung des Verbrennungsmotors an.

Mary Barra kümmert sich nicht um die Schuldfrage. Was kann der arme Kolbenmotor dafür, wenn den Autoherstellern und Energiekonzernen in drei Jahrhunderten nicht besseres eingefallen ist, als ihn mit Diesel oder Benzin zu animieren? Wie künstlicher Kraftstoff hergestellt wird, weiß die Wissenschaft seit einem Jahrhundert, wie aus Wasser per Elektrolyse Wasserstoff entsteht, noch länger. Wasserstoff verbrennt im Motor zu Wasser. Und die aus Wasserstoff hergestellten E-Fuels erzeugen kein Gramm Kohlendioxid zusätzlich. Die Chemie hätte auch noch andere Wege aufzeigen können, fossile Brennstoffe zu ersetzen oder in Hinblick auf ihre Klimawirksamkeit zu verbessern. Doch Erdöl war bequem und oft auch preisgünstig. Es ist also nicht der Verbrennungsmotor, der die Prügel verdient.

Doch statt über neue Kraftstoffe für die weltweit 1,4 Milliarden Autos mit Verbrennungsmotor nachzudenken, beschäftigen sich Mainstream, Politik und Automobilwirtschaft mit Glaubensfragen. Sie glauben, die Elektromobilität bringe die Erlösung, und auch Mary Barra scheut sich nicht, zur falschen Prophetin zu werden, wenn sie den Eindruck erweckt, bis 2035 werde ihr Unternehmen keine Automobile mit Verbrennern mehr bauen – ausgenommen die ganz großen und ausgenommen die Millionen von Verbrennungsmotoren, die sich in den Hybridantrieben von der Elektrokomponente helfen lassen.

Das bleibt am Ende des Tages übrig, nicht nur bei GM: ein Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge, ein Anteil von Autos mit Hybridantrieb und viele klassische Verbrenner. Werden die Ökobilanzen der drei Antriebskonzepte summiert, ergibt sich für das Automobil kaum ein Fortschritt im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Er wird massenhaft zusätzliches Kohlendioxid ausstoßen – trotz E-Mobilität –, wenn nicht endlich der Verstand siegt. Doch in einem Superwahljahr wie diesem ist die Gefahr übergroß, dass die Illusion eines goldenen Zeitalters nach dem Verbrenner noch heftiger wird als heute.

Und so hat auch der Kommentator seine Prügelknaben: All jene, die ohne nachzudenken auf dem Verbrenner rumhacken. (ampnet/Sm)


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Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net