Tesla und die Vorspiegelung falscher Tatsachen

Der folgenschwere Unfall passierte in der Nacht vom 17. auf den 18. April gegen halb zwölf in der Großstadt The Woodlands, etwa 45 Kilometer nördlich von Houston im US-Bundesstaat Texas. In einer leichten Kurve war ein Tesla Model S, Baujahr 2019, besetzt mit zwei Männern im Alter von 59 und 69 Jahren mit überhöhter Geschwindigkeit von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Die Insassen hatten keine Chance, mit dem Leben davon zu kommen, denn der Wagen geriet sofort in Brand. Die wenige Minuten später eingetroffene Feuerwehr benötigte vier Stunden, um die Flammen zu löschen.

Die Überraschung war groß, als sich danach herausstellte, dass einer der Passagiere auf dem Rücksitz, der andere offensichtlich vorne rechts gesessen haben muss – der Fahrersitz jedenfalls war leer geblieben. Ein Polizist berichtete später im lokalen Fernsehen, dass den Untersuchungen des Wracks sowie Aussagen von Zeugen zufolge „zum Zeitpunkt des Unfalls niemand am Lenkrad Platz genommen“ hatte.

Zudem hatten die Ehefrauen der Unfallopfer ausgesagt, dass ihre Männer, bevor sie sich auf die nächtliche Spritztour machten, über den Tesla und dessen angeblichen Autopiloten diskutiert hatten. So drängte sich bei der Polizei der Verdacht auf, dass die beiden auf ihrer Unglücksfahrt genau diese Ausrüstung des batteriebetriebenen Elektrofahrzeugs hatten ausprobieren wollen.

Der Protest von Tesla-Boss Elon Musk gegen diese Vermutung ließ nicht lange auf sich warten. Schon einen Tag nach dem Crash schrieb er auf Twitter: „Bisher analysierte Daten zeigen, dass der Autopilot nicht aktiviert war und dieses Auto über kein FSD (Anmerkung der Redaktion: FSD = Full-Self-Driving, Computer-Hardware für autonomes Fahren) verfügte. Darüber hinaus würde ein Standard-Autopilot das Vorhandensein von Fahrbahnmarkierungen erfordern, die diese Straße nicht hatte.“

Zusätzlich rühmte Musk – ebenfalls in einem Tweet – die Vorteile des Systems: „Im ersten Quartal haben wir nur einen Unfall auf 4,19 Millionen gefahrenen Meilen registriert, bei dem der Fahrer den Autopilot eingeschaltet hatte. Für diejenigen Fahrten ohne Autopilot, aber mit unseren aktiven Sicherheitsfunktionen, haben wir einen Unfall pro 2,05 Millionen gefahrenen Meilen registriert. Für diejenigen, die ohne Autopilot und ohne unsere aktiven Sicherheitsfunktionen fuhren, haben wir einen Unfall auf 978 000 gefahrenen Meilen festgestellt. Zum Vergleich: Die jüngsten Daten von NHTSA zeigen, dass es in den USA alle 484.000 Meilen zu einem Autounfall kommt.“

Das aber wollte das renommierte US-amerikanische Verbrauchermagazin „Consumer Report“, in dem einst auch der berühmt-berüchtigte Anwalt Ralph Nader mitmischte, so nicht stehen lassen. „Obwohl unabhängige Ermittler noch nicht einmal festgestellt hatten, ob der Autopilot überhaupt für die Unfallursache verantwortlich war“, so schrieb das Blatt, „sollte sich Tesla besser darum kümmern, eine Technik zu entwickeln, die verhindert, automatisiertes Fahren zu missbrauchen.“ Denn das könnte angesichts der strengen Verbraucherschutzbestimmungen in den Vereinigten Staaten, die hin und wieder für Entschädigungen in Millionenhöhe führen, für Tesla gefährlich werden.

Ist der Autopilot in einem amerikanischen Tesla-Fahrzeug aktiviert, kann er in bestimmten Situationen von selbst bremsen, beschleunigen und eine Fahrspur einhalten. Eine weitere Reihe von Funktionen, die Tesla als „Full Self-Driving Capability“ bezeichnet, verwandelt einen Tesla jedoch überhaupt nicht in ein völlig selbstfahrendes Auto, sondern fügt lediglich ein paar zusätzliche Funktionen hinzu, einschließlich der Möglichkeit, das Fahrzeug automatisch einzuparken.

Die Modelle der Marke bieten derzeit keine Echtzeitüberwachungssysteme an, die sicherstellen, dass der Fahrer tatsächlich hinter dem Lenkrad sitzt, wach ist und auf die Straße schaut, wenn die Funktionen Autopilot oder Full Self-Driving Capability aktiviert sind. Ein Modell S wie das beim Crash in Texas sucht – wie auch in Europa üblich – nach den Händen eines Fahrers am Lenkrad. Wenn diese Kraft nicht erkannt wird, tritt ein Alarm in Aktion. Reagiert der Fahrer nicht, deaktiviert das Fahrzeug das System.

In der Vergangenheit war bekannt geworden, dass manche Tesla-Besitzer versuchten, die Vorrichtung auszutricksen, indem sie das aktive Eingreifen des Fahrers durch ein Gerät am Lenkrad vortäuschten. Mit etwas Mühe sei es sogar möglich, schreibt der Consumer Report, „das System vom Rücksitz aus einzuschalten". In der Bedienungsanleitung steht deshalb: „Der Einsatz von Autopilot und volle Selbstfahrfähigkeit sind nur für einen aufmerksamen Fahrer zulässig, der seine Hände am Lenkrad hat und jederzeit bereit ist, die Kontrolle des Wagens wieder selbst zu übernehmen."

Neuerdings werden Stimmen laut, die fordern, Tesla solle auf den Begriff „Autopilot“ verzichten, um Autofahrer nicht in die Irre zu führen. Auch die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA), die zurzeit ein rundes Dutzend Unfälle mit Fahrzeugen des Unternehmens untersucht, bei denen der Autopilot eine Rolle spielte, hat sich eingeschaltet. Sogar zwei demokratische Senatoren, meldeten sich zu Wort. In einem Brief an die NHTSA forderten sie die Behörde auf, die genaue Ursache des jüngsten Tesla-Unfalls zu ermitteln, um die künftige Gesetzgebung für Fahrerassistenzsysteme wie den Autopiloten besser anpassen zu können.

Inzwischen fordert der Consumer Report, schneller Nägel mit Köpfen zu machen und Tesla zu zwingen, bessere Sicherheitseinrichtungen gegen den Missbrauch des Systems zu entwickeln oder ganz auf den so genannten Autopiloten zu verzichten. Allein der Begriff sei schon die Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Bereits im vergangenen Jahr befürchtete der Kongress, dass die Tesla-Fahrer zu viel Vertrauen in den Autopiloten setzen und die Behörden zu wenig unternehmen um sicherzustellen, „dass die Konzerne ihre Systeme sicher einsetzen“, schrieb das Magazin. Tesla habe keine angemessenen Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass Fahrer die Einrichtung missbrauchen.

„Wir kritisieren Tesla seit Jahren, doch das Unternehmen hat immer noch keine erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen“, sagt William Wallace, Manager für Sicherheitspolitik beim Verbrauchermagazin. „Jeder Tag ohne Maßnahmen ist ein verlorener Tag, an dem es zu vermeidbaren Katastrophen und Verlusten kommen kann.“ (ampnet/hrr)


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Unfall eines Tesla in Texas, bei dem möglicherweise niemand hinter dem Lenkrad gesessen hat und der Autopilot eingeschaltet war.

Unfall eines Tesla in Texas, bei dem möglicherweise niemand hinter dem Lenkrad gesessen hat und der Autopilot eingeschaltet war.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Twitter