Kommentar: Talleyrand und Tellerrand

So schnittig und windschlüpfig waren die Stellungnahmen der Automobilindustrie selten. Offenbar will vor der Bundestagswahl keiner der Manager Widerstands- oder Reibungsflächen bieten. Die Haltung des Volkswagen-Chefs Herbert Diess ist bereits legendär. Jede Erwähnung des Verbrennungsmotors straft er vom Wolfsburger Olymp herab mit Zornesblitzen. Audi beeilte sich jetzt, dem Verbrenner nur noch fünf Jahre zuzugestehen und Mercedes-Benz will bis 2039 nur noch CO2-neutrale Autos verkaufen, deutet aber einen ambitionierteren Termin an. Nur aus München hörte man jetzt andere Töne vom BMW-Vorstandsvorsitzenden Oliver Zipse. Mut oder Verzweiflung?

„Die wahren Entscheider in unserer Industrie sind die Kunden. Und die sollte man nie aus den Augen verlieren“, mahnte Zipse am Wochenende in einem Interview der „Passauer Neuen Presse“ und des „Donaukuriers“. Zipse verwies auf die Pläne von BMW, 2030 die Hälfte der Autos mit rein batterieelektrischem Antrieb zu verkaufen. „Wenn ein Hersteller dann kein Verbrennerangebot mehr hat, dann geht ihm das halbe Marktvolumen verloren, und er befindet sich auf einem unternehmerischen Schrumpfungskurs.“ Zwar werde es in den kommenden 15 Jahren Städte, Regionen und Länder geben, in denen sich der Transformationsprozess zur Elektromobilität vollständig vollziehe. „Aber in der Summe der weltweit 140 BMW-Märkte wird das nicht der Fall sein“, stellt Zipse fest.

Haben nur die Münchener die Realität im Blick? Sicher nicht. Allerdings schauen die anderen Statements der Industrie nur bis zum deutschen Tellerrand. Die Politik hat sich in die Position drängen lassen, nur die vollständige Elektrifizierung schaffe uns die Klimaprobleme vom Hals. Und mit viel verbalen Geschicklichkeiten spielen ihnen viele Autounternehmen jetzt in die Karten. Wenn der eine erklärt, er werde keinen neuen Verbrennungsmotor mehr entwickeln, erwähnt er eben nicht, dass er das seit den 70er-Jahren nicht mehr tat, weil der damalige Motor seitdem weiterentwickelt wurde und noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten angekommen ist. Andere kreuzen die Finger beim Schwur hinter dem Rücken. Doch sie lügen nicht. Sie vergessen nur zu erwähnen, dass sie gerade eben nur vom deutschen Markt gesprochen haben. Andere vergessen gern, auf die lange Lebensdauer eines Autos mit Verbrennungsmotor von bis zu 18 Jahren hinzuweisen. Das dürfte der Lebensdauer von zwei bis drei Fahrzeugbatterien in einem Elektroauto entsprechen.

Bei der Frage, ob er Angst vor einer Beteiligung der Grünen im Bund habe, entgegnet Zipse: „Unabhängig von den regierenden Parteien ist mir wichtig, dass das Thema Wachstum wieder einen Stellenwert bekommt.“ In anderen Weltregionen habe Wachstum eine hohe politische Bedeutung: In China sei es ein Staatsziel, und in den USA versuche die derzeitige Regierung, das Wachstum umfassend zu stimulieren. „Ich wünsche mir, dass wir – auf Basis unserer Werte und mit unseren noch immer herausragenden technologischen Möglichkeiten – mehr zum Thema machen. Wachstum ist auf Dauer entscheidend für den Wohlstand einer Gesellschaft. Dabei bedeutet ein Mehr an Wachstum übrigens nicht ein Weniger an Nachhaltigkeit.“

Das wissen die anderen Manager der Automobilindustrie auch. Dasselbe gilt vermutlich für eine Vielzahl unserer Politikerinnen und Politiker. Doch die haben sich nun einmal festgelegt und hoffen jetzt darauf, dass der Koalitionspartner andere Schwerpunkte erzwingt. Hier ein Tipp vom Meister des Aphorismus, Charles Maurice de Talleyrand: „Die wichtigste Kunst des Politikers besteht darin, neue Bezeichnungen für alte Einrichtungen zu finden, deren alte Bezeichnungen in der Öffentlichkeit anstößig geworden sind.“ (ampnet/Sm)


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Oliver Zispe.

Oliver Zispe.

Foto: Auto-Medienportal.Net/BMW Group