Kommentar: Osterspaziergang und Umweltsau

Die Tränen könnten einem kommen. So schön hörte sich an, was Daimler-Chef Ola Källenius gestern bei der ersten ESG-Konferenz (Environment, Social und Governance) den Analysten an den Bildschirmen verkündete. Die Teilnehmer erlebten einen Höhepunkt der Unternehmenskultur. Edel sei das Unternehmen, hilfreich und gut. Vor so vielen hehren Zielen bleibt dem Publikum nur der Respekt vor dem Unternehmen, seinen Managern und Mitarbeitern. Die Wirtschaft kennt also noch Ideale. Wir haben es gewusst – letztlich wendet sich alles zum Guten.

Nach dieser tiefen Verbeugung zurück zu Lebensnahem, zu Wilhelm Busch, der sagte: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Goethes konnte in seinem „Osterspaziergang“ noch aus der Ferne zusehen, „wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“. Doch dieses Ostern herrscht Krieg vor unserer Haustür. Wir sind sogar mittendrin mit unserer Wirtschaft als Waffe. Das Kohle-Embargo wird kommen, das Öl-Embargo wird wahrscheinlicher und Gas ist unsicher, egal, wer den Hahn zudreht. Uns in Deutschland trifft das in einer Phase, in der der Weg zu Alternativen tatsächlich und ethisch schwierig ist oder zu lange dauert.

Zunächst schalten erst einmal wir die drei verbliebenen Atomkraftwerke ab. Dann werden wir entscheiden müssen, dass Gas für die deutsche Industrie wichtiger ist als für die Stromproduktion. Wir werden also Gas und Atomkraft durch Kohle ersetzen müssen. 2021 schon mussten wir eine Zunahme der fossilen Energien bei der Stromproduktion hinnehmen. Das Hochfahren der Kohlekraftwerke wird unseren Strommix noch klimaschädlich verändern. Zwei Drittel unseres Stroms könnten schlimmstenfalls bald aus der Kohle kommen. Was macht das mit dem Elektroauto und dem schönen Plan von CO2-neutraler Produktion?

Wird das Elektroauto von Greepeace bei der nächsten IAA statt Verbrenner als Umweltsau präsentiert? Bringt es noch etwas, nach CO2-Einsparungen beim Batteriebau zu suchen? Laufen wir nicht in die Gefahr, Ressourcen für Ziele zu vergeuden, die uns in dieser existenzbedrohenden Situation nicht helfen?

Drücken wir Daimler, seinem Management und Mitarbeitern und damit uns selbst die Daumen, dass wir die hehren Ziele des ESG-Konzepts der Stuttgarter nicht eines Tages als ebenso weltfremd empfinden wie das Verhalten des Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist oder gar von Don Quichotte und Sancho Pansa des Miguel de Cervantes. (Peter Schwerdtmann, cen)


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Peter Schwerdtmann.

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Foto: Auto-Medienportal.Net


Ola Källenius.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Daimler


Ola Källenius.

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