Kommentar: Braucht Volkswagen einen zweiten Peter Hartz?

Volkswagen steckt in der Krise. Werksschließungen in Deutschland und erstmals betriebsbedingte Kündigungen sind möglich. Wer jetzt ein Déjà-vu hat, denkt sicher an die schwere Krise der 90er-Jahre – und den Mann, der geholfen hat, sie zu überwinden. Peter Hartz, der später wegen der Betriebsratsaffäre verurteilte Personalchef, der Erfinder der Hartz-Reformen, die Deutschland eine Dekade des Wirtschaftsaufschwungs gebracht haben. Ob ihm dazu etwas einfiele?

Aktuell sehen Experten, Kommentatoren aber auch der Betriebsrat die Schuld an der Krise vor allem beim Management. Das ist, wie so oft, nur die halbe Wahrheit. Es stimmt, Fehler wurden gemacht, aber mindestens so schwer wiegen externe Effekte, die das Unternehmen kaum in der Hand hatte.

Management-Fehler E-Mobiliät: Anders als zum Beispiel BMW oder Stellantis hat VW Werke komplett auf E-Autos umgestellt. Diese Entscheidung stammt noch von Herbert Diess. Er hat wie kein anderer Autoboss – mit Ausnahme seines „Freundes“ Elon Musk – auf die E-Mobilität gesetzt. Folge: Wenn sich E-Autos nur schwer verkaufen lassen, wie derzeit, dann sind elektrifizierte Werke wie Zwickau, Emden oder Brüssel nicht ausgelastet. Und das ist teuer. Brüssel steht vor dem Aus. Ein Werk in Deutschland dürfte folgen.

Management-Fehler China: BYD hat Volkswagen von der Spitze verdrängt und ist nun größter Autohersteller im Heimatmarkt. So weit, so normal. Es gibt keine große Industrienation ohne eigene starke Automobilindustrie. Warum sollte das in China anders sein? Die E-Mobilität hat diesen Prozess nicht ausgelöst, aber beschleunigt. Vorwerfen muss man dem VW-Management jedoch, die Abhängigkeit vom chinesischen Markt viel zu lange hingenommen zu haben. Der Versuch, mit den USA einen weiteren großen Markt zu schaffen, ist im Diesel-Desaster gescheitert. Und im Spiel um Indien werden die Karten gerade erst verteilt. Ich sehe dort eher Toyota oder die Chinesen vorn.

Management-Fehler Kostenkontrolle: „Wir sind in Deutschland 20 Prozent teurer, also müssen wir auch 20 Prozent besser sein“, sagte mir Martin Winterkorn in einem seiner letzten Interviews als VW-Chef. Das hat lange funktioniert, auch weil die Standorte mit niedrigeren Kosten in Osteuropa die teuren Werke in Deutschland subventioniert haben. „Mischkalkulation“ hieß das früher bei VW. Doch die Rechnung geht nicht mehr auf: Autos sind wegen der ständig steigenden Anforderungen der EU an Abgasverhalten, Sicherheit und CO2 so teuer geworden, dass die Kunden 20 Prozent Premium-Aufschlag für einen VW nicht mehr zahlen wollen. Die hohen Energie- und Bürokratiekosten in Deutschland kommen noch on top. Man beachte nur den Erfolg von Marken wie Skoda oder Dacia, die VW bei preissensiblen Privatkunden längst überholt haben. Kein Wunder: Eine Industriearbeitsstunde kostet 14 bis 16 Euro in Osteuropa, 46 Euro in Deutschland.

Wäre es nur der Umstieg der Branche zur E-Mobilität, das Ende der Marktführerschaft in China, die seit Jahren andauernde Konjunkturflaute, die hohen Produktions-, Energie- und Bürokratiekosten in Deutschland –- jede dieser Herausforderungen für sich wäre beherrschbar. Aber alles auf einmal ist einfach zu viel des Schlechten.

Was also kann eine Lösung sein? Das VW-Gesetz abschaffen, wie es manche Kommentatoren fordern? Wir leben ja in Zeiten, in denen historische Einordnungen wieder relevant sind. Es gibt das VW-Gesetz, die Landesbeteiligung Niedersachsens und der starke Einfluss des VW-Betriebsrats aus historischen Gründen. Das Volkswagenwerk wurde von den Nazis mit dem Geld errichtet, das diese den Gewerkschaften gestohlen hatten. Nach dem Krieg kam die Frage nach einer gerechten Entschädigung auf. Das nun aufzugeben hieße, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaft ein zweites Mal zu enteignen.

Auf bessere Zeiten hoffen? In der VW-Krise in den 90er Jahren hat es funktioniert. Statt tausende von Arbeitern nach Hause zu schicken, hatte ein gewisser Peter Hartz ein paar kreative Ideen: Die Vier-Tage-Woche ohne Lohnausgleich überbrückte die mageren Jahre. Die Auto 5000, die Beschäftigung unterhalb des VW-Haustarifs, konnte sogar neue Arbeitsplätze schaffen. Solche Kreativität ist aktuell wieder gefragt. Wo aber der künftige Aufschwung herkommen soll, da fehlt auch mir die Fantasie. (cen)


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Guido Reinking, Chefredakteur des Auto-Medienportals.

Guido Reinking, Chefredakteur des Auto-Medienportals.

Foto: Autoren-Union Mobilität