Fahrbericht Volvo EX90: Sanfter Riese

Viel Zeit ist vergangen seit der EX90 am 9. November 2022 präsentiert wurde. Jetzt kommt Volvos Elektro-Riese auf die Straßen – und ist Hoffnungsträger der Schweden im SUV-Luxussegment. Wir sind ihn in seiner amerikanischen Heimat gefahren.

„Heute ist der Beginn einer neuen Ära der Sicherheit, Nachhaltigkeit und Technologie“, mit diesen Worten stellte Volvo-Vorstandschef Jim Rowan seinerzeit den EX90 in Stockholm vor. Doch der Wechsel auf die Zukunft nahm ein gerüttelt Maß Zeit in Anspruch. So stahl zwischenzeitlich schon der EX30, die kleine Schwester des EX90 dem Großen die Show. Was vom Design her dem Prinzip des Downscaling, also der visuellen Verkleinerung einer Modellidee bei gleichzeitiger Individualität der Miniatur entsprach, war plötzlich die optische Vorbereitung auf den Platzhirsch.

Das allerdings sorgte bei den ersten Testfahrten mit dem EX90 rund um Kaliforniens Südküste für eine gewisse Vertrautheit bei denen, die den EX30 schon gefahren waren. Bedienkonzept und Menüführung gleichen einander frappant bis ins Detail. Auch wenn der EX90 seine Fensterheber an der Seite hat – die Außenspiegel sind, wie beim EX30 – über das Zentraldisplay einzustellen. Allerdings verfügt der EX90, wir fuhren ihn in der Topausstattung als Twin Motor Performance AWD, im Unterschied zum kleinen Verwandten aufgrund von mehr Platz und preislicher Spannweite sowohl über ein Head-up-Display als auch über ein kompaktes, digitales Infoboard über dem Lenkrad.

Auch beim Außendesign ist die Verwandtschaft zum kleinen EX30, der als Nachfolger konzipiert worden war und dann als Vorreiter auf den Markt kam, unübersehbar. Das neue, geglättete Antlitz enthält keinen Kühlergrill mehr, der Luft durchlassen müsste, stattdessen das Volvo-Logo in neuem Look und mit einem durchgängigen Metallpfeil, der in einer markanten Ausbuchtung eine Art diagonales Passepartout für das Logo bildet. Die neu arrangierten Thorshammer-Leuchten, die jetzt auch eine vertikale Verlängerung nach unten haben, sind der heimliche Star des Autos.

Sie können nämlich ihre „Lider“ öffnen, um dahinter eine weitere Scheinwerfereinheit zum Vorschein zu bringen. Nährt sich der Fahrende mit seinem Handy – einen Schlüssel gibt es nicht mehr – zwinkert ihm der EX90 zu. Das ist ein ähnlich menschelnder Charmeeffekt wie bei VWs ikonischen ID.Buzz – und das einzige Gimmick das sich der große, kühle Schwede gönnt.

Setzt man die 380 kW (517 PS) an Vorder- und Hinterachse des Twin Motor Performance in Bewegung, sorgen 910 Nm dafür, dass der 2,8-Tonner sich genauso agil und sportlich anfühlt wie der EX30 mit Twin Motor; der allerdings wiegt fast eine Tonne weniger und ist gut 80 Zentimeter kürzer. Die Doppelquerlenker-Aufhängung sorgt für eine Lenk- und Steuerungspräzision, die exeptionell ist für ein Fahrzeug dieser Dimension. Kurz und bündig spricht die Lenkung an, das Fahrwerk, in unserer Ausstattung mit adaptiver Luftfederung und mit Four-C-Fahrwerkstechnik, ist auch mit 22-Zoll-Rädern makellos straff und dynamisch. Spezielle Dämpfer schlucken die teils holprigen Gebirgsstraßen komplett weg.

Wer das langsame Gleiten durch berauschende Landschaften dem sportlichen Kurvenmessen vorzieht, der sitzt im EX90 ebenfalls richtig. Derlei energiebewusstes Fahren lässt sich an Berghängen und im Stadtverkehr übrigens bestens im Rekuperationsmodus erleben. Bis zu sieben allseits bequeme Sitze bietet der EX90 – und kommt dabei auf einen beachtlichen cW-Wert von 0,29. Das ist bei einer Länge von 5,04 Metern und einer Breite von 1,96 Metern ohne Außenspiegel eine bemerkenswerte Leistung. Mit der 111 kWh starken Hochvoltbatterie soll der EX90 in der von uns gefahrenen Ausstattung bis zu 614 Kilometern (WLTP) an Reichweite schaffen.

So weit, als dass sich das verifizieren ließe, sind wir mit ihm nicht durch Kalifornien gefahren; allerdings ließ der Verbrauch von 25 kWh/100 km, den wir bei Fahrten über Highways, Bergstraßen und innerorts erzielten, erahnen, dass der ganze Fahrkomfort in belastendem Terrain dann eben doch seinen Kilowattpreis hat. Der Komfort, natürlich nachhaltig, etwa mit dem eigenen Lederersatzstoff Nordico – unter anderem aus Kieferöl – lässt sich im EX90 in ungeahnte Höhen treiben. Etwa mit dem High-end-HiFi-System von Bowers & Wilkins, das den Innenraum mit 25 Lautsprechern in Konzerthalle, Rock-Arena oder demnächst – per eigener App – auch in die legendären Abbey-Road-Studios verwandeln kann. Das hat natürlich seinen Preis. Unser Testwagen lag bei 111.000 Euro. Dabei steht natürlich – neben allen Annehmlichkeiten – wie könnte es bei Volvo anders sein, die Sicherheit im Vordergrund.

Das Credo, dass kein Mensch mehr in einem oder durch einen Volvo ums Leben kommen oder schwer verletzt werden soll, steht im Mittelpunkt der Forschung. Diesem höchst ambitionierten Ziel möchten die Göteborger mit ihrem neuen Lidar-System einen ordentlichen Schritt näher kommen. Das dezente Lidar-Hörnchen in der Mitte über der Windschutzscheibe, das ein bisschen an ein Taxischild erinnert, wirkt übrigens aufgrund all der harmonisch fließenden Linien des EX90-Designs viel größer als es ist.

Bis zu 250 Meter Entfernung kann die Mischung aus Laser und Radar in kompletter Dunkelheit ausmachen, ob etwa ein Reifen auf der Fahrbahn liegt. Genauso klar- und weitsichtig reagiert der Lidar bei direkter Sonneneinstrahlung, die den Fahrer blendet. Zusammen mit zwölf Ultraschallsensoren, acht Kameras sowie fünf Radaren sorgt das laut Volvo für ein noch nie da gewesenes Sicherheitslevel. Ähnliches gilt für die Umgebung des Lenkrades. Kameras und Algorithmen erkennen anhand unterschiedlichster Kriterien, ob der Fahrer abgelenkt, alkoholisiert oder durch Drogen beeinträchtigt ist oder ob eine akute Erkrankung ihn oder sie daran hindern, die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten.

Für den Fall eines solchen Kontrollverlusts, den wir nicht erleben mussten, hält das Fahrzeug mehrere Reaktionen bereit – je nach Gesetzeslage. In Deutschland heißt das, dass das Fahrzeug in der Spur zum Halten gebracht wird, in der es sich befindet. Das liegt daran, dass autonomes Fahren bisher nur in sehr eingeschränkten Situationen auf Autobahnen zugelassen ist, allerdings ohne Spurwechsel. Die US-Variante des EX90 hingegen darf ihre Fähigkeiten voll ausspielen. Hier fährt der Wagen im Fall eines Falles autonom auf den Standstreifen. Nach dem Anhalten wird natürlich in beiden Fällen auch noch eigenständig Hilfe herangeholt.

Aufgesetzt ist all diese Technik auf Volvos erster elektrischer Plattform SPA2 (Scalable Product Architecture 2), die auch als Matrix für den Polestar 3 dient. Gefertigt wird der EX90 in Ridgeville (US-Bundesstaat South Carolina). Allerdings wird der sanfte Riese gewiss auch auf dem europäischen Markt seine Freunde finden. Fahrspaß und Ausstattung machen ihn zu einer echten Alternative in dem noch kleinen Segment der elektrischen Siebensitzer-SUV. (cen)

Daten Volvo EX90

Länge (m): 5,04
Radstand (m): 2,99
Antrieb: Elektromotor, Vorder- und Hinterachse
Max. Drehmoment: 910 nM
Höchstgeschwindigkeit: 180
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 4,9 Sek.
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 22,0-19,9 kWh/100 km
Reichweite (WLTP): 614 – 570 km
Ladeleistung: kW AC/ kW DC 11/250
Leergewicht / Zuladung: 2811 / 3370 kg
Kofferraumvolumen: 310–1905 Liter
Max. Anhängelast: 2200 kg
Basispreis: 83.700 Euro


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Volvo EX90.

Volvo EX90.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo


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Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo/Christian Bittner


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Volvo EX90.

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Volvo EX90.

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Volvo EX90 und Autor Daniel Killy.

Volvo EX90 und Autor Daniel Killy.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo/Christian Bittner


Volvo EX90.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Daniel Killy


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Volvo EX90 mit Abbey Road Studio-Soundmodus.

Volvo EX90 mit Abbey Road Studio-Soundmodus.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo