Vier gewinnt

Am Anfang stand TMPS. Das Akronym steht für „Tire Pressure Monitoring System“, den englischen Begriff für ein automatisches Reifendruckkontrollsystem. Seit 2014 ist die Technik für alle neu zugelassenen Pkw in der EU verpflichtend. Seit Juli vergangenen Jahres gilt diese Vorgabe auch für sämtliche Nutzfahrzeuge, die in Europa neu auf die Straßen kommen. Doch das ist nur der erste Ansatz für die Vernetzung von Reifen.

Was die Funktionsweise betrifft, gibt es zwei Typen von TMPS: Indirekte Systeme nutzen die schon vorhandenen Sensoren von Fahrwerksregelungen wie ABS oder ESP, die den Abrollweg und die Schwingungsfrequenz jedes Reifens messen. Bei einem Druckverlust ändern sich beide Parameter, was vom Sensor erkannt und der Fahrerin oder dem Fahrer per Licht- oder Akustiksignal gemeldet wird. Direkte Systeme verfügen über Drucksensoren die entweder in der Felge, an der Innenseite des Reifens oder am Ventil positioniert sind und direkten Kontakt mit der Luft im Reifeninneren haben. Verändern sich die Messwerte bei einem Reifen, wird das im Bordsystem angezeigt.

Das klingt unkompliziert, hat aber weitreichende Folgen, denn das Reifendruckkontrollsystem markiert den Startpunkt der Vernetzung der Reifen mit der Fahrzeugelektronik. Die Reifenhersteller sprechen gerne von „intelligenten Reifen“ – tatsächlich ist diese Intelligenz derzeit noch recht begrenzt. Abgesehen vom Luftdruck im Pneu wird bislang nichts weiter erfasst. Aber das soll sich ändern, sobald die neue Reifengenerationen auf den Markt kommen, an denen längst gearbeitet wird.

Der deutsche Reifenhersteller Continental aus Hannover zum Beispiel hat eine neue Sensoren-Generation entwickelt, die das Profil von Reifen kontrollieren kann. Denn: Mit der Abnutzung des Profils verändert die Radialbeschleunigung eines Reifens in dem Bereich, in dem die Lauffläche mit der Straße in Kontakt ist. Wird also die Radialbeschleunigung fortlaufend gemessen, lassen sich im Laufe eines Reifenlebens deutliche Unterschiede feststellen. Mit Hilfe spezieller, auf den jeweiligen Reifentyp zugeschnittenen Algorithmen lässt sich dann die noch vorhandene Profiltiefe ermitteln. Und die Fahrzeugelektronik meldet, sobald die Lauffläche eine kritische Abnutzung erreicht hat. Continental plant, diese neue Sensorik noch in diesem Sommer zunächst für Nutzfahrzeugreifen einzuführen.

Von Interesse für Reifenentwickler ist auch die Temperatur eines Pneus, vor allem die Temperatur der Luft im Reifeninneren. Entsprechende Sensoren sollen künftig die Wärmeentwicklung präzise erfassen, denn ein Anstieg der Temperatur deutet oft auf einen bevorstehenden Reifenplatzer hin. Zudem könnten Temperatursensoren in der Lauffläche Änderungen registrieren, die auf Nässe auf der Fahrbahn, drohendes Aquaplaning oder Glättegefahr durch Schnee oder Eis hinweisen.

Grundsätzlich geht es bei der Aufrüstung des Reifens mit immer neuen, unterschiedlichen Fühlern um mehr Sicherheit. Die Sensorik soll Fahrer nahezu in Echtzeit über Veränderungen informieren, die für das Verhalten des Fahrzeugs entscheidend sein können. Darüber hinaus macht der Reifen automatisch darauf aufmerksam, wenn er ausgetauscht werden sollte – beispielsweise, weil das Profil stark abgefahren oder eine kleine Undichtigkeit aufgetreten ist.

Auch die Reifenkonzerne Bridgestone und Michelin betonen, dass die nächsten Reifengenerationen gespickt sein werden mit Sensoren, die Informationen über Laufflächenabnutzung, Reifenlaufleistung, Reifenbelastung, Druckverlust und andere wichtige Parameter ermitteln. Der finnischen Reifenhersteller Nokian wiederum prophezeit, das intelligente Reifen schneller auf dem Markt sein werden als autonom fahrende Fahrzeuge.

Das mag so sein, doch im Grunde genommen hängt das eine durchaus vom anderen ab. Denn wenn Fahrzeuge zunehmend automatisiert agieren, benötigen sie für den sicheren Betrieb erst recht jene Informationen, die nur die Reifen liefern können. Denn nach wie vor bleiben die vier Pneus eines Fahrzeugs (bei Nutzfahrzeugen sind es manchmal mehr) die einzigen Kontaktstellen mit dem Untergrund.

Das Fernziel aller Reifenhersteller ist es, die schwarzen Rundlinge zu einem Teil des Internets der Dinge (IoT, Internet of Things) zu machen. Warum? Weil eine umfassende Vernetzung der Reifen es ermöglicht, die von ihren Sensoren erfassten Daten im Prinzip allen Fahrzeugen mit hochautomatisierten Fahrfunktionen zur Verfügung zu stellen. Zumindest allen Fahrzeugen in der Nähe. So ließe sich etwa, in Kombination mit aktuellen Wetterdaten, ein ziemlich genaues Bild der Fahrbedingungen auf den Straßen einer Region ableiten. Auch weitere Sensordaten des Fahrzeugs, etwa Radarinformationen oder Kamerabilder, könnten mit den Reifendaten kombiniert werden, um daraus Rückschlüsse auf die jeweilige Fahrsituation zu gewinnen.

Ein großes Geschäftsfeld für smarte Reifen hat die Branche vor allem bei den Flottenbetreibern ausgemacht. Denn wenn Transportfahrzeuge, Baumaschinen oder Busse durch einen Reifenschaden ausfallen, bedeutet das fast immer eine Störung des Betriebsablaufs mit entsprechenden Einbußen. Und ein falscher Fülldruck der Reifen kann bei Fahrzeugen, die nahezu ständig unterwegs sind, zu deutlich erhöhten Kraftstoffkosten führen. Auch die Autoflotten von Car-Sharing-Anbietern, bei denen die Autos immer wieder von anderen Nutzern gefahren werden, profitieren von Reifen, die sich selbst zuverlässig überwachen. Durch eine vorausschauende Detektion lassen sich mögliche Reifendefekte weitgehend ausschließen, weil auffällig gewordene Pneus rechtzeitig ersetzt werden können. Das sorgt nicht nur für mehr Sicherheit im Einsatz, sondern hilft auch, einen wirtschaftlichen und effizienten Betrieb von Fahrzeugflotten sicherzustellen. (aum)


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Sie sind das Bindeglied zwischen Auto und Straße: Hersteller wie Continental und andere sehen daher noch viel Potenzial für „intelligente Reifen“.

Sie sind das Bindeglied zwischen Auto und Straße: Hersteller wie Continental und andere sehen daher noch viel Potenzial für „intelligente Reifen“.

Photo: Continental via Autoren-Union Mobilität


Sie sind das Bindeglied zwischen Auto und Straße: Hersteller wie Nokian und andere sehen daher noch viel Potenzial für „intelligente Reifen“.

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Photo: Nokian via Autoren-Union Mobilität


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Photo: Continental via Autoren-Union Mobilität


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Photo: Continental via Autoren-Union Mobilität