Warum Renault lieber in Indien als in den USA investiert
18. April 2025 Von Guido Reinking
Während nahezu alle Hersteller mit sinkenden Umsätzen und schwächelnden Gewinnen zu kämpfen haben, konnte ausgerechnet Renault 2024 ein Rekordjahr hinlegen. Der Umsatz ist um 7,4 Prozent auf 56,2 Milliarden Euro gewachsen, das Betriebsergebnis um 146 Millionen Euro auf 4,3 Milliarden Euro, der Nettogewinn sogar um 21 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Wurde Renault früher in Wolfsburg, Stuttgart und München als südeuropäische Kleinwagenmarke belächelt, schauen die Manager der deutschen Autobauer heute ungläubig auf den Erfolg der Franzosen. Noch nie in seiner 125-jährigen Geschichte war Renault so profitabel.
Was ist das ist das Erfolgsgeheimnis des französischen Autoherstellers, der mit 2,26 Millionen verkauften Fahrzeugen gerade einmal Nummer 15 in der Welt ist? Es ist nur nur dem heute glücklich Umstand zu verdanken, dass Renault weder in den USA noch in China nennenswert vertreten ist. Da ist vor allem Vorstandschef Luca de Meo zu nennen: Seit 2020 führt er Renault. Der 57-jährige Italiener ist ein erfahrener Automanager. mit eine bemerkenswerten Bilanz: Als Chef der Marke Fiat führte er den Fiat 500 ein, das erfolgreichste Modell der Italiener seit vielen Jahren.
Der Coup blieb in Wolfsburg nicht unbemerkt. VW-Patriarch Ferdinand Piech holte de Meo 2009 zu Volkswagen. Als Marketingchef brachte er dort den Kleinwagen Up auf Trab. Zum Dank wurde de Meo 2015 zur kriselnden spanischen VW-Tochter Seat entsandt. Eigentlich ein Himmelfahrtskommando: Zuvor hatten sich schon einige Automanager an der Sanierung der chronisch defizitären Marke die Zähne ausgebissen, unter anderem Bernd Pischetsrieder. Doch de Meo legte mit der Gründung der Submarke Cupra den Grundstein für einen Erfolg, der bis heute anhält. Jüngst hat Seat mit Cupra das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte verkündet.
2020 verließ Luca de Mao Seat und den VW-Konzern, um Vorstandsvorsitzender bei Renault zu werden. Alles andere als ein leichte Aufgabe: Renault hatte so ziemlich jeden Trend in der Automobilindustrie verpasst: China? Kein einziges Werk besaßen die Franzosen dort. SUV? Hielt man bei Renault lange für überflüssig. Eine Premium-Marke fehlte genauso im Programm. Global war Renault nur in Südamerika und Russland präsent. Wie sollte daraus eine Erfolgsgeschichte werden?
Auf der Haben-Seite gab es die Allianz mit Nissan und die Tochtermarke Dacia, die rumänische Billigmarke. Also alles andere als ideale Voraussetzungen. Aber de Meo packte es an – nach dem Motto: „Du hast keine Chance, also nutze sie“. Nicht in China vertreten zu sein, darüber ist man heute froh bei Renault. Auf einem Wachstumsmarkt engagiert sie Renault aber dann doch: Indien. Renault wird von Nissan die Anteile an einem Gemeinschaftswerk im südindischen Chennai übernehmen und dort Dacia-Modelle bauen.
Dacia war von Anfang an ein Erfolg: Als Renault die rumänische Automarke übernahm, wurde das in Wolfsburg noch belächelt. Schließlich hatte man mit Skoda eine eigene Einstiegsmarke in Osteuropa. Doch Renault schaffte es, durch intelligentes Engineering die Preise der tschechischen VW-Tochter deutlich zu unterbieten. Seit Jahren ist der Dacia Sandero das billigste Auto auf dem Markt. Aktuell kostet er 12.500 Euro, 7000 Euro weniger als der Skoda Fabia.
Gemeinsam mit dem chinesischen Autohersteller Geely, der auch an Mercedes beteiligt ist und dem Marken wie Volvo, Smart und Polestar gehören, baut Renault Verbrennungsmotoren: Bei Horse Powertrain, so der Name des Gemeinschaftsunternehmens, lässt Mercedes künftig seine modernsten Vierzylinder für den neuen CLA bauen. Renault hilft das Joint Venture, die Kosten für die nach wie vor beliebten Verbrenner zu senken und gleichzeitig in die elektrische Zukunft zu investierten.
Mit Nissan betreiben die Franzosen das Gemeinschaftsunternehmen Ampere. Dort werden kostengünstige Elektroantriebe entwickelt. Luca de Meo hat sich vorgenommen, die Kosten für Batterien und Leistungselektronik um 40 Prozent zu senken.
Schon aktuell ist Renault bei der E-Mobilität gut aufgestellt: 22 Prozent der verkauften Autos hatten im vergangenen Jahr einen Elektromotor an Bord. Damit hat das Unternehmen 2024 den von der EU verlangten CO2-Flottengrenzwert sogar unterboten. Auch die schärferen CO2-Grenzen dieses Jahres hätte Renault wohl erreicht, ohne dass die EU-Kommission – wie jetzt beschlossen – der Autoindustrie mehr Zeit dafür gibt. Denn mit dem R 5 und R 4 hat Renault zwei bezahlbare, attraktive Elektroautos auf den Markt gebracht: Die Modelle sind auf Monate ausverkauft. Denn endlich stimmen auch die Preise: Ab 27.300 Euro gibt es den Renault 4 E-Tech. Optisch ist er eine Reminiszenz an den legendären R 4, technisch ein praktisches Elektroauto mit bis zu 300 Kilometern Reichweite. Als Spaß- und Stadtauto kommt der elektrische Renault 5 E-Tech im Stil des alten R 5 hinzu.
Während Renault damit schon zwei Elektroautos für unter 30.000 Euro im Programm hat, wird Volkswagen ein solches Modell erst auf der IAA im September vorstellen. Dort wird Renault mit einem vollelektrischen Twingo ein Elektroauto zum Preis von unter 20.000 Euro zeigen und im nächsten Jahr auch in den Verkauf bringen. Der ähnlich günstige Volkswagen ID 1 wird dann noch ein Jahr auf sich warten lassen. Das Angebot von Renault, gemeinsam preiswerte Elektroautos zu entwickeln und zu bauen, hat Volkswagen abgelehnt. Der mächtige Betriebsrat des VW-Konzern wollte damit Beschäftigung in den eigenen Fabriken sichern. Das rächt sich jetzt: Renault hat ein Jahr Vorsprung auf Volkswagen.
Mit Alpine als sportlicher Submarke will Luca de Meo nun bei Renault den Coup wiederholen, den er mit Cupra bei Seat gelandet hat. Die Erfolgsstory von Renault dürfte also weitergehen. (aum)
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