Warum Autohersteller bestimmte Radiosender hervorheben sollen
23. April 2025 Von Guido Reinking
Hintergrund: „Der Medienstaatsvertrag (MStV) gibt in § 84 vor, dass sogenannte Public-Value-Angebote innerhalb einer Benutzeroberfläche leicht auffindbar zu machen sind“, teilt die Medienanstalt NRW auf Anfrage der Redaktion mit. Und Autos gelten mit ihren Radios als „Benutzeroberfläche“ im Sinne des MStV, meint die Anstalt – auch wenn es darüber eine rechtliche Auseinandersetzung gibt. Mit Public-Value-Angeboten „sind diejenigen Angebote gemeint, die in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt im Bundesgebiet leisten“, heißt es weiter. TV- und Radiosender mit hohem Informationsanteil können sich bewerben, als Public-Value-Angebot gelistet zu werden.
Vor allem die Landesanstalt für Medien in NRW setzt die Autohersteller in ihrem Einzugsbereich unter Druck, Sender von der Liste entsprechend zu kennzeichnen. Doch aus dem möglicherweise gut gemeinten Ansatz, Medienvielfalt zu fördern, ist mittlerweile ein bürokratisches Monster geworden: Mehreren Autoherstellern, Importeuren wie deutschen Marken, sind bereits Aufforderungen des Medienanstalt ins Haus geflattert, dem § 84 MStV folge zu leisten. Sie sollen die Public-Value-Sender auf ihren Infotainment-Bildschirmen hervorheben.
Doch das ist leichter gesagt als getan: „Zunächst mal müssen wir unsere Autos als Benutzeroberflächen bei der Landesmedieanstalt anmelden“, sagte der Deutschland-Chef einer Importmarke. Das hat allen diesen Hersteller bereits 70.000 Euro gekostet. „Wie wir das nun technischen umsetzen sollen, weiß hier aber niemand.“ In der Zentrale seiner Marke, in Asien, könne man es ohnehin kaum verständlich machen, was sich deutsche Bürokraten so ausdenken.
Die Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) versucht nun, für seine Mitglieder eine Lösung zu finden: „Wir beschäftigen uns nun schon seit fast drei Jahren mit dem Thema. Das bedeutet einen ganz erheblichen bürokratischen Aufwand für unsere Mitglieder mit entsprechenden Kosten“, sagt Alexander Jess, VDIK-Geschäftsführer.
Der Verband bezweifelt, dass ein Auto überhaupt als Benutzeroberfläche nach Medienstaatsvertrag gelten kann. Schließlich ist ein Kraftfahrzeug primär kein Radio. Über diese Frage gibt es bereits zwei Gutachten. Eines wurde von der Landesmedienanstalt NRW in Auftrag gegeben. Es stützt naturgemäß deren Position, dass die „Bedienoberfläche ihrer KFZ-Infotainmentsysteme Benutzeroberflächen im Sinne des Medienstaatsvertrages darstellen“, so die Anstalt in einer Stellungnahme.
Das vom VDIK in Auftrag gegebene Gegengutachter kommt allerdings zu einem anderen Schluss:„Selbst wenn man eine rechtliche Verpflichtung zur Umsetzung der Auffindbarkeitsvorgaben unterstellt, ist eine Umsetzung derzeit technisch kaum möglich. Sie wäre aber auf jeden Fall unverhältnismäßig“, sagt VDIK-Geschäftsführer Jess. Zudem hat der Verband den Verdacht, dass die ganze Regelung gegen EU-Recht verstößt und erwägt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Die Public-Value-Liste umfasst mittlerweile hunderte Sender – von Antenne Bayern bis zum Westerwald-Wied TV, von Rockantenne Hamburg bis zu Radio Westfalica. Viele davon sind nur regional empfangbar. Fährt ein Auto von einem Sendegebiet ins andere, müsste dann die Liste ständig neu angepasst werden? Das wäre nur mit größtem technischen Aufwand möglich. Oder reicht es, die Liste der Region zu programmieren, in der das Auto ausgeliefert wurde? Für kleinere Importmarken, die nur wenige tausend Autos pro Jahr in Deutschland verkaufen, ist das kaum zu vertretbaren Kosten zu bewerkstelligen.
Ein Blick auf die aktuelle Public-Value-Liste offenbart auch: Das Angebot aus der Vielzahl von Sendern ist so unübersichtlich, dass ein Autofahrer während der Fahrt hier kaum mehr seinen Sender finden dürfte. Meist sind die Sender in den Digitalradios der Fahrzeuge alphabetisch geordnet. Unabhängig davon, auf ob sie auf der Public-Value-Liste stehen, oder nicht. So programmieren das die Hersteller für alle gängigen Absatzmärkte.
Noch komplizierter wird es, wenn im Auto ein Smartphone genutzt wird, zum Beispiel über Apple Carplay oder Android Auto. Wer ist dann zuständig, der Auto- oder der Smartphone-Hersteller, vielleicht auch der Anbieter des Mobilfunk-Vertrages? Die Juristen sind sich da nicht sicher.
Der bürokratische Aufwand für die Unternehmen ist jetzt schon immens: „Es kann doch nicht sein, dass wir auf der einen Seite ständig über Bürokratieabbau sprechen, auf der anderen Seite aber nur für den deutschen Markt diese sehr aufwendigen und nicht nachvollziehbaren Vorgaben mit einem minimalen praktischen Nutzen gemacht werden“, sagt Alexander Jess. (aum)
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