Kommentar: Realitätscheck für beide Seiten
17. Juni 2025 Von Peter Schwerdtmann
Der Plan blieb nicht ohne Widerspruch, oft ernstgemeint, aber nicht immer sachlich. Der Blick zurück auf den Beginn der Diskussion in der 90-ger Jahren erinnert an das damalige Szenario: Am Anfang aller Diskussionen stand die Empörung des Zeitgeists über das Auto, das knallt und stinkt. Politiker und Vereine, ihre Förderer und Auftraggeber engagierten und positionieren sich immer noch mit medialem Rückenwind nicht nur in Deutschland gegen das Auto. Später ging es plötzlich gar nicht mehr um Abgas, Krach und Gesundheit, sondern um Kohlendioxid als Symptom für ein krankes Klima.
Brüssel reagierte mit passenden Abgasvorschriften, dabei unzweideutig von dem Ziel getrieben, dem Bürger das gewohnte Automobil am besten ganz auszutreiben oder zumindest durch eines mit Elektroantrieb zu ersetzen. Und schnell sollte das gehen, angeschoben durch harte Grenzwerte und hohe Strafen für die säumige Hersteller. Die sollten möglichst nur noch Elektroautos bauen und an den Kunden bringen.
Der Diesel war es, der mit seinem „Skandal“ dazu führte, dass ein Automobilboss nach dem anderen dem Auto mit Verbrennungsmotor öffentlichkeitswirksam abschwor. Doch die meisten hatten dabei die Finger hinter dem Rücken gekreuzt. Denn sie wussten, dass die Realität in der Welt anders aussah. Und genau das kommt im Laufe der Zeit raus: Der Verbrennungsmotor ist nicht zu verdrängen, weil er in Markt Plug-in-Hybriden und Range-Extender-Systemen bei Bedarf für den Fahrstrom sorgt. Außerdem wollen oder können die Menschen in anderen Märkten oft kein Elektroauto kaufen, möglicherweise, weil in ihrer heimatlichen Wüste die Ladesäule fehlt.
Immer noch zeigen sich besonders Abgeordnete des Europaparlaments davon überzeugt, so ein Wechsel zu einer technologischen Monokultur lasse sich anordnen, auch gegen den Willen der Mehrheit in den ihren Herkunftsländern. So fiel zwar die politische Entscheidung für die Elektromobilität, aber die öffentlichen Investitionen ins Netz und Ladeinfrastruktur blieben überschaubar. Heute noch verfügt ein Drittel aller Gemeinden in Deutschland nicht über eine Ladestation.
Nicht erst seit dem Zehn-Punkte-Plan positioniert sich der VDA bei jeder Gelegenheit mit der Aussage, sein Leitmotiv sei die klimaneutrale Mobilität. Es wird Zeit, dem Herstellerverband ein ernsthaftes Bemühen um Umweltfreundlichkeit beim Wort zu nehmen, wenn er jetzt wieder fordert, deutlich mehr Ladesäulen, einen niedrigen Strompreis und bessere Rahmenbedingungen für die Elektromobilität zu schaffen. Kauf und Betrieb eines Elektroautos müssten sich für den Käufer lohnen, meint nicht nur der VDA.
Der Blick über den Tellerrand führt irgendwann jeden zu der Erkenntnis, dass die Welt voller Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ist. Ein rascher Effekt aufs Klima ist demnach ausgeschlossen, wenn es keine anderen Lösungen als den E-Antrieb für alle gibt. Angesichts von weltweit rund 1,5 Milliarden Verbrennern müssen auch andere Lösungen zum Zug kommen, zum Beispiel die modernen, nachhaltig hergestellten Biokraftstoffe. Deren Anerkennung fordert der VDA nun für Pkw und Nutzfahrzeuge.
Doch die Zeit drängt, sagt uns die Wissenschaft. Das Klima wartet nicht auf das E-Auto. Deswegen fordert der VDA jetzt, die Diskussion über das Regelwerk schon für dieses Jahr und nicht erst 2027 zu führen. Ein Festhalten am alten Zeitplan zementiert die alten Regeln, die von der Technik, dem Markt, der Konjunktur, den Zöllen und den Engpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten wir Computerchips bereits überholt wurden. Realitätssinn ist gefragt.
Das Interesse an einer Diskussion zu diesem Zeitpunkt liegt also nur scheinbar allein auf der Seite der Industrie. Das legen – im Umkehrschluss – auch die Reaktionen von Umweltlobbys wie „transport & environment“ nahe. Ihnen scheint es nach wie vor unvorstellbar, dass die Automobilindustrie nicht mehr ins alte Feindbild passt. Sie mögen es nicht glauben, wenn der Verband sagt, Klimaschutz müssen auch ein Geschäftsmodell sein und von seinen Kritikern verlangt, sie mögen doch einen Beweis für ihre Aussagen vorlegen.
Das Klima zu wichtig. Die Automobilindustrie aber auch. Denn bei den Automobilherstellern und -zulieferern haben wir es mit einen Wirtschaftszweig zu tun, der nicht nur das Klima beeinflusst. Er bestimmt auch die Zukunft deutschen Volkswirtschaft stärker, als das in anderen EU-Mitgliedsstaaten der Fall ist. Die deutschen Hersteller werden bis 2029 eine Summe investieren, die höher liegt als das Sondervermögen der Bundesregierung für Infrastruktur. Auch diese mehr als 500 Auto-Milliarden gehören zu den Realitäten, die bedacht und gewürdigt sein wollen. (aum)
Die zehn Forderungen des VDA in Kürze:
1. Die Automobilindustrie setzt auf bessere Rahmenbedingungen statt auf neue Belastungen für Industrie und Verbraucher.
2. Die Überprüfung der Flottenregulierungen soll auf das Jahr 2025 vorgezogen werden.
3. Für die Zielverschärfungen in 2030 und 2035 soll als Entlastung eine zweijährige Übergangsphase für die Grenzwerte angewendet werden.
4. Lade- und H2-Tankinfrastruktur ausbauen, Netzausbau beschleunigen.
5. Versorgung mit Rohstoffen und Vorprodukten sicherstellen.
6. Berücksichtigung der Rolle von PHEVs über 2035 hinaus. PHEVs mit großer elektrischer Reichweite als neue Fahrzeugkategorie definieren.
7. Größerer Fokus auf erneuerbare Kraftstoffen, deren durchschnittliche CO2- Minderung in der Flottenregulierung berücksichtigt werden soll.
8. Carbon Neutral Fuels-Fahrzeuge als Null-Gramm-Fahrzeuge einstufen.
9. Stärkere Berücksichtigung des Fahrzeugbestands, um die Klimaziele im Verkehr auch mit Hilfe erneuerbarer Kraftstoffe zu erreichen.
10. Elektromobilität muss klaren Kostenvorteil bieten: Reduzierung des Ladestrompreises, mehr Wettbewerb und Technologie sowie weniger Steuern und Abgaben. Die Forderung gilt auch für erneuerbare Kraftstoffe. Prüfen, wie Maßnahmen Verbraucher einen praktischen Vorteil durch Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge im Straßenverkehr erhalten können. (aum)
Komplett: https://www.vda.de/de/presse/Pressemeldungen/2025/250606_PM_2030-2035_CO2-Flottenregulierung
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