ZF Lifetec: Testen für unterschiedliche Märkte

Es begann vor und 50 Jahren mit dem Sicherheitsgurt, der sich schnell vor allem durch seine Weiterentwicklungen als Lebensretter erwies und später im Verbund mit dem Airbag half, die Zahl der Verkehrsopfer drastisch zu senken. In den 1970er Jahren wurde auf deutschen Straßen jedes Jahr eine Kleinstadt ausgelöscht, als bis zu 20.000 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen. Heute ist die Zahl auf weniger als 3000 gesunken – ein Verdienst der technisch immer weiter verbesserten Sicherheitseinrichtungen im Auto-Innenraum, die schwere und tödliche Verletzungen verhindern. Doch bevor Gurte und Airbags ihre lebensrettende Wirkung entfalten können, müssen sie aufwendig getestet werden.

Um die Entwicklungszyklen der Fahrzeughersteller weiter zu beschleunigen, hat ZF Lifetec neben den klassischen physikalischen Versuchen auch hybride virtuelle Testmethoden entwickelt, um so die Sicherheit der Insassen den realen Unfallszenarien anzupassen. Das Unternehmen betreibt weltweit mehr als 20 Testzentren für die verschiedenen regionalen Märkte, die sich unter einander austauschen, unter anderem in Detroit und Yokohama, und drei zentrale Tech-Zentren weltweit. Dort werden mehr als 50 dynamische Tests pro Tag durchgeführt.

Beim virtuellen Testen spielt „HyDRA“ eine entscheidende Rolle. Das Wort steht für Hyper Dynamic Response Actuator, was sich in einen neuartigen, von ZF Lifetec entwickelten, und einzigartigen Prüfstand übersetzt, der einen schnellen und präzisen Abgleich zur Realität ermöglicht. Der Actuator oder Auslöser ermöglicht dank neun sehr leistungsstarker Elektromotoren sehr hohe Beschleunigungen auf kurzer Distanz.

„Mit Hydra können wir mit höchster Genauigkeit und ohne Ablenkungen von anderen Komponenten Ergebnisse erzielen, und das macht während der Entwicklung einige große Schlittenversuche überflüssig, wird sie aber nicht vollständig ersetzen können“, erklärt Andreas Schachtner, Director Engineering Testing Global Division bei ZF. „Aktuell verifizieren wir damit den Sicherheitsgurt. Der Airbag wird der nächste Schritt sein. Mit Hydra stellen wir die Verbindung von einem virtuellen Modell zur physikalischen Realität dar.“

Und das zahlt auch auf den aktuellen Trend hin zur Real-Life-Safety ein. Bei diesem Ansatz rücken die physiogenomischen Unterschiede des Mensch immer mehr in den Vordergrund mit dem Ziel, ihn noch besser zu schützen, angepasst an dessen individuelle Statur. „Diese Adaptivität wird von den NCAPs weltweit als Entwicklungsziel in den jeweiligen aktuellen Roadmaps vorgegeben und in den Crashtest-Bewertungen entsprechend honoriert“, erklärt Schachtner. Für diesen adaptiven Ansatz stehen unterschiedliche Lösungen und Strategien zur Verfügung, die nur durch eine Kombination aus physikalischen und den genannten virtuellen Test entwickelt und getestet werden können. Denn um auch kritische dynamische Belastungen rechtzeitig erkennen und diesen richtig entgegenwirken zu können, müssen alle wesentlichen dynamischen Belastungen des Gurtsystems (Kraftniveau, Auszugsweg und Geschwindigkeit) einschließlich Pre-Crash-Dynamik erfasst werden. „Dieses Gesamtbild ohne das Zusammenspiel aus realen und virtuellen Tests zu entwickeln, würde einen sehr hohen Zeit- und Ressourcenaufwand bedeuten“, berichtet Schachtner.

Doch nicht nur die Anforderungen an Sicherheitssystemen steigen stetig, sie unterscheiden sich von Markt zu Markt. Als global agierender Zulieferer und Entwicklungspartner internationaler Automobilhersteller, orientieren sich die Test- und Entwicklungsverfahren nicht nur am Euro NCAP. „China zum Beispiel gibt mit seinem im C-NCAP definierten Vorgaben inzwischen die Richtung vor. Das betrifft vor allem die Rücksitzbank, was in anderen Märkten weniger bedeutend ist. Deshalb entwickeln und testen wir dort, um die Vorgaben zu erfüllen. Das wird aber auch Impulse für andere Märkte haben“, berichtet Schachtner. Während zum Beispiel in den USA der Sicherheitsgurt im Fond ausreicht, sind die Anforderungen in China deutlich ambitionierter. „Dort müssen im Fond ähnliche Anforderungen erfüllt werden wie bei den Vordersitzen.“ Außerdem müssen die Sicherheitseinrichtungen auch dann wirkungsvoll schützen, wenn die Passagiere im Fond, wie in China besonders beliebt, ihre Sitze in eine Liegeposition stellen. „Wir haben also unsere Testeinrichtungen entsprechend angepasst, und bei Bedarf können wir sie auch in Europa oder den USA einsetzen“, so Schachtner. In China testet ZF Lifetec unter anderem in Shanghai und Wuhan.

Um den optimalen Insassenschutz zu erzielen, arbeiten die Experten von ZF Lifetec eng mit den Herstellern zusammen, und zwischen der ersten Anfrage und bis zum ersten Versuch vergehen, so Schachtner, „mindestens ein bis drei Jahre.“ Die Transformation zur Elektromobilität verändern inzwischen auch die Testmethoden. „Denn durch die steifere Konstruktion und die höheren Gewichte entstehen härtere und aggressivere Crash-Pulse, und darauf müssen wir unsere Testverfahren einstellen.“ Neben den Funktionstests untersuchen die Testzentren von ZF Lifetec auch die Eigenschaften der Materialien, die bei den Rückhaltesystemen zum Einsatz kommen. Vor der Serienfertigung werden auf speziell entwickelten Prüfständen die einzelnen Komponenten auf ihre Reaktion beispielsweise auf den Einfluss von Salzwasser, Sonnenlicht oder Staub untersucht, um Defizite bei der späteren Funktionsfähigkeit auszuschließen. (aum)


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Bilder zum Artikel

Dummies bei ZF Lifetec.

Dummies bei ZF Lifetec.

Photo: ZF Lifetec via Autoren-Union Mobilität


Testschlitten bei ZF Lifetec.

Testschlitten bei ZF Lifetec.

Photo: ZF Lifetec via Autoren-Union Mobilität


Prüfstand „HyDRA“ bei ZF Lifetec.

Prüfstand „HyDRA“ bei ZF Lifetec.

Photo: ZF Lifetec via Autoren-Union Mobilität


Andreas Schachtner, Director Engineering Testing Global Division bei ZF.

Andreas Schachtner, Director Engineering Testing Global Division bei ZF.

Photo: ZF Lifetec via Autoren-Union Mobilität