Software-Defined Vehicle: Wenn das i-Phone zum Autoschlüssel wird

Für die Besitzer eines Polestar 3 war es eine angenehme Überraschung: Nach einem Software-Update des Autos lässt sich das Apple i-Phone als digitaler Schlüssel nutzen. Seither wird das Elektroauto mit dem Smartphone aufgesperrt und gestartet. Der Schlüssel kann auch mit anderen geteilt werden. Aufgespielt wurde die neue Funktion über das Mobilfunknetz. Der Polestar 3 hat in einem Jahr schon elf Updates bekommen, das zwölfte ist in Vorbereitung. „Das Fahrzeug ist das erste Software-Defined Vehicle aus Europa“, sagt Polestar-Entwicklungschef Lutz Stiegler.

In einem Software-Defined Vehicle (SDV) werden viele Funktionen über Software gesteuert. Wie beim Smartphone werden diese durch regelmäßige Updates auf dem neuesten Stand gehalten oder um neue Funktionen erweitert. Auch neue Apps im Infotainment sind möglich. Der Polestar 3 hat zum Beispiel eine „Abbey-Road“-App bekommen: Sie spielt Musik mir der Akustik des legendären Beatles-Studios.

Solche Over-the-Air-Updates (OTA) sind ein zentraler Baustein auf dem Weg zum SDV, einer Technologie, die deutsche Autokonzerne lange Zeit sträflich vernachlässigt haben. Während Tesla solche permanenten Verbesserungen schon seit dem ersten Model S ab 2012 anbietet, bekommen Fahrzeuge aus Europa erst seit kurzem Updates, und das auch meist nur für das Infotainment. Polestar bietet sie hingegen für viele andere Fahrzeugfunktionen an.

Voraussetzung dafür ist ein Zentralrechner im Auto, der die meisten der teilweise über 100 Steuergeräte ersetzt, die in herkömmlichen Fahrzeugen Funktionen wie die Klimaanlage, das Infotainment oder die Fensterheber steuern. Denn diese Steuergeräte bringen ihre eigene, nicht updatefähige Software mit. Diese IT-Architektur gilt als nicht mehr zeitgemäß. „Der Zentralrechner ist das eigentliche zentrale Steuerelement im Fahrzeug“, sagt Stiegler zum Polestar 3. Der „Core Computer“ kommt vom US-Chip-Spezialisten Nvidia, die Kommunikation läuft über die Snapdragon-Plattform von Qualcomm, die auch in vielen Handys zu finden ist.

Mit Hilfe dieser Branchengrößen, des Betriebssystems Android Auto und eigener Software-Entwickler hat es Polestar geschafft, die meisten Wettbewerber beim SDV zu überholen. Die Marke arbeitet dabei eng mit Volvo zusammen. Beide Unternehmen gehören dem chinesischen Geely-Konzern.

Die deutsche Industrie muss aufholen, will sie bei der Software im Auto nicht vollends abgehängt werden: Vergangene Woche vereinbarten elf deutsche Autohersteller und Zulieferer, Software künftig in Form von „Open Source“ gemeinsam zu entwickeln. Das heißt, die Codes der Software sind für jedermann einsehbar. Künftig muss nicht jeder Hersteller das Rad immer wieder neu erfinden. Grundlegende Funktionen werden nur einmal geschrieben und stehen dann allen beteiligten Unternehmen offen. Mit Open Source will sich die Industrie auch dem Vorwurf entziehen, ein Kartell zu bilden.

„Ein beträchtlicher Umfang der Fahrzeugsoftware ist für den Nutzer nicht direkt erlebbar und damit nicht differenzierend“, heißt es beim Verband der Automobilindustrie (VDA), der die Software-Allianz koordiniert hat. Die Entwickler der VW-Gruppe, von Porsche, Mercedes oder BMW können sich dann auf solche Funktionen konzentrieren, mit denen sie sich vom Wettbewerb unterscheiden. Neben den genannten Herstellern beteiligen sich auch auch Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF daran.

Auch Volkswagen ist auf dem Weg zum Software-Defined Vehicle schon vorangekommen: Die ID-Modelle des Konzerns bekommen regelmäßig aktuelle Software aufgespielt. Damit werden auch Fehler behoben, die in der hastigen Entwicklung der Elektrofahrzeuge eingebaut wurden. So konnten die ersten Käufer eines VW ID 3 nicht den Ladezustand ihrer Batterie in Prozent sehen – eine nicht unwichtige Informationen. Zudem stürzte die zentrale Infotainmenteinheit gerne ab, der Bildschirm blieb schwarz. Diese Fehler wurden erst mit Updates behoben.

Mit dem jüngsten Softwareupdate können die ID-Modelle von Volkswagen sogar bidirektional laden. Das heißt, die Antriebsbatterie kann nicht nur Strom aufnehmen, sondern auch wieder abgeben – zum Beispiel um das Stromnetz zu stabilisieren oder das Haus des Eigentümers zu versorgen. Das Auto wird zum kleinen Kraftwerk, gesteuert von einer neuen Software, die es beim Bau des Fahrzeugs noch gar nicht gab.

Entscheidend sind OTA und SDV für automatisiertes Fahren. Denn nur so lernt das Auto aus den Fahrfehlern anderer Fahrzeuge ständig dazu. Davon hat auch schon der Polestar 3 profitiert: Beim Curve Speed Assistant passt der Tempomat die eingestellte Geschwindigkeit nicht nur dem Vordermann an, sondern bremst rechtzeitig vor Kurven. Denn das System kann jetzt die Google-Navigationskarte mitlesen, als säße ein virtueller Beifahrer mit im Auto. (aum)


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Der Polestar 3 hat per Update eine „Abbey-Road"-App bekommen. Sie spielt Musik mir der Akustik des legendären Beatles-Studios.

Der Polestar 3 hat per Update eine „Abbey-Road"-App bekommen. Sie spielt Musik mir der Akustik des legendären Beatles-Studios.

Photo: Polestar via Autoren-Union Mobilität