40 Jahre Audi Quattro: Eine elektrisierende Idee
3. November 2020 Von Bernd Ostmann, cen
Der Allrad-Antrieb gewann die Rallye-WM. Er siegte mit Walter Röhrl am Gralsberg der Amerikaner – am Pikes Peak. Er gewann die IMSA-GTO-Rennserie, siegte bei den Tourenwagen, sogar bei der DTM und schließlich im Audi R18 e-Tron mit Hybridantrieb dreimal in Le Mans.
Nahezu elf MIllionen
Seit 1980 konnten bei Audi nahezu elf Millionen Autos mit Allradantrieb verkauft werden. Der Antrieb über alle Viere wurde zeitweilig zum Alleinstellungsmerkmal. Und wer Quattro sagte, der meinte „Vorsprung durch Technik“. Wo allerdings Quattro draufsteht, ist längst nicht immer Quattro drin.
Aber der Reihe nach: Es gibt mittlerweile vier selbstsperrende Mittendifferentiale. Das klassische Torsen-Trumm wurde von fünf auf drei Kilogramm abgespeckt. Es kommt heute bei allen Längsmotor-Varianten in Kombination mit der Acht-Stufen-Tiptronik (Wandlerautomatik) zum Einsatz. In der Kompaktklasse mit den Quermotoren regelt eine Lamellenkupplung an der Hinterachse dem Vortrieb über alle Viere. Im Supersportler R8 geht es gerade andersherum: Da sitzt die Lamellenkupplung an der Vorderachse.
Allradantrieb war angesagt
Der permanente Allradantrieb war, wie gesagt, lange Zeit das Alleinstellungs-Merkmal bei Audi. Immer schärfer werdende Abgas-Grenzwerte, aber auch die gespaltene Kundenmeinung zwangen die Audi-Techniker dann allerdings zum Umdenken.
Viele Kunden haben beim Thema Allrad eine vorgefasste Meinung. Der Traktions- und Sicherheitsvorteil wird nicht wirklich erkannt. Dafür ist der Mehrverbrauch stets präsent, zum Teil „mit extremen Vorstellungen“, wie Dieter Weidemann, Leiter der Entwicklung Allradsysteme, verrät. Deshalb entstand in aller Stille – ganz im Stil von Ferdinand Piëch – ein abschaltbarer Allrad, der Quattro Ultra.
„Teilzeit“-Quattro
Der „Teilzeit“-Quattro, der gegen alle Widerstände im Unternehmen entwickelt wurde, ist ein cleveres Kerlchen. Er ging 2016 in Serie und koppelt seitdem bei Bedarf Kardanwelle und Hinterachsgetriebe ab – hier entstehen 80 Prozent der Schleppverluste. Und er kann blitzschnell, binnen 200 Millisekunden, auf Vortrieb über alle Viere umschalten. „Kein Konkurrent kann das schneller“, behauptet Weidemann nicht ohne Stolz.
Freilich war das den Entwicklern einen Tick zu langsam. Deshalb schaut das System nun voraus. Es wird gespeist von 150 Steuersignalen, reagiert auf den Reibwert der Straße oder auf den Fahrstil des Piloten. Tritt der Fahrer gegen das Gaspedal, dann braucht der Motor etwas Zeit, bis er das Drehmoment aufbaut, das Getriebe schaltet in der Zwischenzeit einen Gang runter – und der Allrad ist längst zugeschaltet. „Wir bieten dem Kunden in allen Situationen einen vollwertigen Allrad“, verspricht der Entwickler.
Völlig unspektakulär
Und wie fährt sich der Quattro ultra? Völlig unspektakulär. Der Kunde merkt nichts. Deshalb haben die Techniker im Test-A6 auf der Lenkrad-Nabe ein paar Lämpchen platziert. Leuchten sie rot auf, dann ist die Hinterachse zugeschaltet, der Allrad im Einsatz. Angefahren wird grundsätzlich im Allradmodus. Nach ein paar Metern gehen die Lampen aus, die Hinterachse rollt also nur noch mit. Kreisverkehre umrundet der A6 mit Beleuchtung, also mit Allradantrieb.
In Schweden kam der Ultra bei glatter Schneefahrbahn auf einen Frontantriebsanteil von 68 Prozent. Wer das Gaspedal heftiger bemüht erlebt viele rote Lämpchen. Bei einer flotten Runde rund um Neuburg an der Donau lag der Frontantriebsanteil bei 42 Prozent – immerhin. Der Ultra ist in Kombination mit dem Doppelkupplungsgetriebe, der S-Tronic, oder mit Schaltgetriebe, mittlerweile der meistverkaufte Allradantrieb bei Audi.
Die Konkurrenz der drei Motoren
Noch, denn die Elektro-Offensive schreitet auch bei Audi voran. Und mit dem Elektro-SUV E-tron S und seinen drei E-Maschinen – zwei davon arbeiten an der Hinterachse – erwächst dem klassischen permanenten Allrad oder dem Ultra eine starke Konkurrenz. Der Clou: Alles wird dabei elektrisch geregelt, völlig ohne Energie fressende Differentiale oder Sperren.
Auf der Offroad-Verschränkungsstrecke kann man den Vorteil optisch erkennen. Im hügeligen Gelände passiert es, dass eines der Hinterräder völlig in der Luft ist. Beim E-tron S dreht es nicht durch. Es bleibt stehen. Die komplette Antriebskraft geht auf das andere Rad, dass Kraft übertragen kann. Was der E-tron S im Gelände demonstriert, gilt auch für die Kurvenfahrt. Am kurvenäußeren Hinterrad kann das Moment blitzschnell bis auf 2200 Newtonmeter erhöht werden. Dadurch wird das Fahrzeug regelrecht in die Kurve gedrückt. „Wir vernichten also keine Energie durch Bremseneingriff. Wir kombinieren Agilität und Vortrieb“, so einer der E-tron-Entwickler.
Beherzt in die Kurve
Und wie fährt sich im Vergleich dazu ein RS 5, eines der sportlichsten Autos im Audi-Sortiment? Beim Vergleich auf einer bewässerten Dynamikfläche fällt auf, dass der RS 5 im Dynamik-Programm ein flottes Einlenken und einen beherzten Gasstoß braucht, um mit dem Heck elegant auszuschwenken. Wer zu zögerlich zu Werke geht, der gerät mit dem RS 5 ins Untersteuern und bekommt den harschen Bremseingriff an der Vorderachse zu spüren.
Die Kurvenfahrt im E-Tron S fällt harmonischer und flinker aus. Der Einsatz der beiden E-Maschinen an der Hinterachse hat nichts mehr zu tun mit dem permanenten Allradantrieb mit selbstsperrenden Mittendifferential anno 1980 – macht die Fahrt auf dem glatten Parcours aber zu einem elektrisierenden Erlebnis. (ampnet/bo)
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