Elektromobilität: Von Verkehrswende zu Verkehrswende

Die erste Verkehrswende startete am Anfang des 20. Jahrhunderts. Allerdings kannte damals noch niemand diesen Begriff. Nachdem die Erfindung der Herren Daimler und Benz das Pferd als Transportmittel bedrohte – Kaiser Wilhelm II. sah das anders und glaubte unverdrossen „an das Pferd“ – rollten leise und einfach zu bedienende Elektromobile auf den Markt. Um 1900 erreichten die batterieelektrischen Modelle in den USA einen Anteil von 38 Prozent, der Verbrennungsmotor lag bei 22 Prozent, der Rest wurde von Dampfmaschinen angetrieben. Doch bald – und das klingt irgendwie aktuell – wendeten sich die Kunden angesichts der geringen elektrischen Reichweiten wieder den Modellen à la Benz und Daimler zu, und der Elektrowagen verschwand in den Nischen der Automobilgeschichte.

Heute rollt also wieder eine Verkehrswende, und die Zeichen für die Elektromobilität stehen ungleich besser als vor 120 Jahren. Dank neuer Batterietechnologien erreichen die E-Mobile ständig wachsende Reichweiten, und die staatliche Förderung gleicht die technisch bedingten Mehrkosten aus. Im vergangenen Jahr kamen so weltweit elf Millionen elektrische Fahrzeuge auf den Weltmarkt, von denen allerdings viele nur als Plug-in-Hybride unterwegs sind, bei denen sich Verbrennungs- und Elektromotor den Antrieb teilen. In Deutschland sind inzwischen 1,3 Millionen elektrifizierte Fahrzeuge auf den Straßen – angesichts des Ziels, bis zum Jahr 2030 einen Bestand von sieben Millionen E-Mobile aufzubauen, bleibt noch einiges zu tun.

Allerdings entscheiden sich immer mehr Menschen für die E-Mobilität, was vermutlich durch die milliardenschwere Förderung verursacht wird. Im vergangenen Jahr registrierte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) mehr als 13 Prozent aller Zulassungen als vollelektrische oder Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge. Vor fünf Jahren lag der Wert noch bei einem Prozent. Im März war bereits jeder zehnte Neuwagen batterieelektrisch, und der Anteil von alternativen Antrieben, berichtet das KBA, liegt aktuell bei 37,6 Prozent – so hoch wie noch nie.

Vorreiter der Elektromobilität in Deutschland ist Volkswagen, wo Vorstandschef Herbert Diess, dem batterieelektrischen Antrieb zum Sieger erklärt hat. „Die Batterie hat gewonnen. Sie ist die einzige verbleibende Möglichkeit den Verkehr CO2-frei zu bekommen“, erklärte er vor einiger Zeit. Wobei der Verkehr allerdings nur lokal CO2-frei wird. Denn auch E-Mobile hinterlassen CO2-Spuren, bis sie auf der Straße fahren. In den kommenden Jahren wird der Konzern rund 35 Milliarden Euro in die E-Mobilität investieren und bis zum Jahr 2030 insgesamt 70 vollelektrische Modelle auf den Markt bringen. Die Rolle als Elektropionier wird offensichtlich von den Kunden honoriert. Im ersten Quartal dieses Jahres erreichte der Konzern bei den E-Mobilen einen Marktanteil von etwas mehr als 34 Prozent.

Neben Volkswagen haben auch die anderen deutschen Hersteller inzwischen den Schalter umgedreht und bringen ein E-Modell nach dem anderen auf den Markt. Mercedes-Benz zeigt mit dem EQS gerade, wie sich Luxus und E-Mobilität miteinander verschmelzen lassen und besitzt vom EQA bis zum EQS eine vollständige Elektropalette. Opels Mokka-e bringt die elektrische Mobilität in die Stadt und Region, und BMW baut seine Elektropalette ebenfalls beständig aus. Auch die Sportwagenschmiede Porsche hat sich dem Strom angeschlossen und den erfolgreichen Taycan auf den Markt gerollt.

Noch ist der gemeinsame Gegner der deutschen Hersteller der kalifornische Elektropionier Tesla, der trotz fragwürdiger Qualität seiner Modelle im vergangenen Jahr rund 500.000 Modelle auf den Weltmarkt gebracht hat. In den USA hat Tesla einen Marktanteil von 80 Prozent und kommt in China – dem größten E-Markt der Welt – auf 30 Prozent. Für Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach hat Tesla noch Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz. Dazu gehören, so Bratzel, die Kompetenz bei der Batterietechnologie und die Kontrolle über das eigene Netz an Schnellladestationen. Außerdem entwickeln die Kalifornier ihr eigenes Betriebssystem und Chips. Volkswagen und Software hingegen waren in der Vergangenheit nicht immer Freunde.

Allerdings holt Volkswagen mit dem Modularen E-Antriebsbaukasten (MEB) deutlich auf. Damit ist ein Produktionssystem entstanden, mit dem sich Fahrzeuge in den verschiedenen Konzernmarken und Segmenten entwickeln lassen. Hinzu kommt das weltweite Produktionsnetzwerk, mit dem sich die einzelnen Märkte bedienen lassen. Bis 2025, so die Planungen in Wolfsburg, sollen jährlich mehr als eine Million E-Modelle produziert werden. „Gerade die Vielzahl an Modellen kann dazu führen, dass Volkswagen eine große Chance hat, 2022 oder 2023 auch bei reiner Elektromobilität der weltgrößte Hersteller zu werden“, erklärte Bratzel bei Tagesschau.de.

Neben der Verkehrswende könnte der Aufstieg der E-Mobilität allerdings auch zu einer Wende bei den Anbietern führen. Vor allem aus China drängen neue Hersteller auf den Weltmarkt. Nachdem die chinesischen Produzenten feststellen mussten, dass sie mit konventionell angetriebenen Fahrzeugen allenfalls in der Dritten Welt bescheidene Erfolge feiern konnten, haben sie sich der E-Mobilität zugewendet und wollen nun die globalen Märkte erobern. Die nächsten Jahre werden daher entscheiden, wer sich durchsetzen wird.

Die nahe Zukunft wird auch bestimmen, welche Technologien erfolgreich am Markt bestehen können. Neben den batterieelektrischen Modellen spielt die Brennstoffzelle, auch mangels ausreichender Infrastruktur, noch eine Nischenrolle. Lediglich Toyota und Hyundai setzen mit asiatischer Beharrlichkeit auf diese Technik. In der Schweiz zeigt Hyundai aktuell, wie sich Wasserstoff als Treibstoff in die Logistik integrieren lässt. Dort haben sich die beiden ansonsten in herzlicher Feindschaft verbundenen Supermarktketten Migros und Coop zusammengeschlossen und beliefern ihre Geschäfte mit Brennstoffzellen-Lastwagen. In den kommenden Jahren soll die Flotte auf 2500 Hyundai-Lkw wachsen. Gleichzeitig entsteht zwischen Sankt Gallen und Lausanne ein Tankstellennetz mit grünem Wasserstoff. Toyota ist mit seinen Brennstoffzellen-Trucks in den USA unterwegs.

Die Verkehrswende wird in den kommenden Jahren also noch die eine oder andere Wende erleben. Dazu werden auch die Entwickler von neuen Batterietechnologien beitragen. Neben der ständigen Verbesserung der aktuell üblichen Lithium-Ionen-Akkus arbeiten die Experten an sogenannten Feststoffbatterien. Mit dieser Technik lassen sich deutlich höhere Reichweiten und kürzere Ladezeiten erzielen. Doch bis zu dieser Wende werden noch einige Jahre vergehen. (empnet/ww)


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Walther Wuttke.

Walther Wuttke.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Walther Wuttke