Ausblick: 2022 wird ein Jahr des Umbruchs
29. Dezember 2021 Von Walther Wuttke, cen
Auf den ersten Blick klingt die Neuheiten-Parade nicht sonderlich aufregend, sie ist überwiegend dem Modellzyklus geschuldet, und fast könnte der Eindruck eines „Business as usual“ entstehen. Die meisten Neuheiten besitzen zudem konventionelle Antriebe, so dass die Berliner Pläne, bis zum Jahr 2030 mindestens 15 Millionen Elektroautos auf die Straße zu bringen, an der Realität vorbeifahren. Allerdings ist die Übersicht nicht vollständig, denn neben den etablierten Herstellern drängen im kommenden Jahr neue Wettbewerber samt innovativer Vertriebsmodelle auf den Markt, die den deutschen Marken durchaus gefährlich werden können.
Asiatische Hersteller haben den Weltmarkt entdeckt und ersparen sich die Zweigleisigkeit, zu denen die deutschen Hersteller noch immer gezwungen sind, weil sie neben den vermeintlichen elektrischen Klimarettern noch die angeblichen Klimavernichter, also Verbrenner, weiterentwickeln müssen. Außerdem haben die Newcomer den Vorteil, dass sie weniger von der Halbleiterkrise betroffen sind, weil sie von vorneherein ihre Elektronik-Architektur auf der jüngsten Chip-Generation aufbauen.
Aus China sind bereits MG, Lynk & Co und Aiways erfolgreich gestartet. Im nächsten Jahr kommen Vinfast aus Vietnam und Nio sowie Great Wall aus China mit gleich zwei Marken hinzu. Während Wey das gehobene Segment belegt, startet Ora mit E-Modellen für die Stadt. Nio ist bereits in Norwegen unterwegs und nimmt nun den Rest von Europa, und da besonders Deutschland, ins Visier. „Deutschland ist eine Schlüsselregion für Nio“, erklärt Nio-Europa-Vizechef Hui Zhang in einem Interview mit „Just Auto“. Als erstes Modell wird in Deutschland die Flaggschiff-Limousine Nio ET7 starten, die nach Werksangaben das autonome Fahren beherrscht. Nio setzt auf ein Batterie-Wechsel-System und plant in Norwegen, im kommenden Jahr 22 entsprechende Stationen aufzubauen. Außerdem hat das Unternehmen ein Abkommen mit Shell geschlossen, um Ladestationen und Akku-Wechselmöglichkeiten im restlichen Europa aufzubauen.
Ebenfalls im kommenden Jahr wird Vinfast sich in Europa vorstellen. Die ersten Modelle feierten ihre Premiere auf der Los Angeles Motor Show. Die vom ehemaligen Opel-Chef Lohscheller geleitete Marke setzt dabei zunächst auf zwei elektrisch angetriebene SUV-Modelle. Die Europa-Zentrale wurde bereits in Frankfurt eingerichtet. Wie Nio hat auch Vinfast den einen oder anderen europäischen Experten überzeugt, sich dem neuen Hersteller anzuschließen. Das gilt übrigens für so gut wie alle asiatischen Hersteller, die Europa ins Visier genommen haben.
Neben neuen Modellen kommen zudem neue Vertriebssysteme nach Europa, die mit dem bisher üblichen Verhältnis zwischen Hersteller, Händler und Kunde brechen. Genesis, die neue Nobelmarke aus dem Hyundai-Konzern, setzt auf wenige Stützpunkte und einem „Rundum-Sorglos-Service“, bei dem der Kunde fünf Jahre lang kostenlose Dienstleistungen und einen Hol-und-Bring-Service zusammen mit dem neuen Fahrzeug bekommt. Der Genesis Personal Assistant übernimmt dabei die lästigen Aufgaben und stellt bei Bedarf auch den Ersatzwagen vor die Tür. Mit diesem Service stehen die Koreaner ziemlich allein.
Neue Modelle, neue Vertriebsformen – und was noch? Nun, in den vergangenen Jahren hat sich eine neue Nutzungsform neben dem klassischen Kauf eines Automobils entwickelt. Im vergangenen Jahr entschlossen sich bereits rund 50.000 Kunden, ihr Automobil nicht zu kaufen, sondern im Abonnement zu übernehmen. Das ist (noch) eine überschaubare Zahl, entspricht aber dem Absatz eines mittelgroßen Importeurs. Auf die Spitze treibt dieses Modell Lynk & Co aus China. Den Lynk & Co 01 gibt es für monatlich 500 Euro im Abo, und über eine App kann der kompakte SUV mit den Mitgliedern der Community (aktuell rund 19.000 Personen) über eine App geteilt werden. In der monatlichen Gebühr sind alle Kosten außer Treibstoff enthalten.
Die deutsche Industrie steht also nicht nur vor einem technischen Umbruch, auch die Parameter rund um Auto werden sich verändern, so dass die Hersteller nicht nur technische Innovationen entwickeln müssen, sondern sich auch auf neue Wettbewerber und Vertriebsmodelle einstellen müssen. Spannende Zeiten bahnen sich an. (aum/ww)
Wenn Sie der Artikel für Ihr Medium interessiert, registrieren Sie sich bitte hier!
Dann können Sie den Artikel oder die Bilder und Videos herunterladen.
Opel Astra Kombi und Limousine.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Opel
VW ID Buzz.
Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen
VW ID 5.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Volkswagen
Ford Ranger.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Ford
Mercedes EQE.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Daimler
Nio ET7.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Nio
Vinfast auf der LA Auto Show 2021: Markenchef Michael Lohscheller (li.) bei der Präsentation des VF e35 und e36.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Vinfast
Lynk & Co 01.
Foto: Auto-Medienportal.Net/Lynk & Co