Fahrbericht Hyundai Ioniq 6: Linien-Stromer

Eine technische Basis, zwei komplett unterschiedliche Modelle – das gehört spätestens seit der Baukastenstrategie des VW-Konzerns zum vertrauten Prinzip in der Autoindustrie. Was allerdings Hyundai mit seinem Stromer Ioniq 6 auf die Räder gestellt hat, ist einmal mehr verblüffend. Nüchtern betrachtet ist die 4,86 Meter lange Coupé-Limousine nur eine Variante der speziell für batterieelektrische Fahrzeuge entwickelten „Electric Global Modular Platform“ (E-GMP), die mit dem vielfach ausgezeichneten Bestseller-Bruder Ioniq 5 debütierte. Doch was die Designer darauf gesetzt haben, ist gleich in mehrfacher Sicht berauschend.

Eine Hommage an die kultigen Streamliner der 1920er und 30er Jahre soll die Karosse darstellen. Tatsächlich wirken die gebogene Haube mit den konturierten Kotflügeln und der sich bis ins Heck streckenden Dachlinie wie aus dem Skizzenblock entsprungen. Ein ebenso mutiger wie spektakulärer Hingucker, wie man ihn seit Erscheinen des ersten Audi TT nicht mehr gesehen hat. Wobei die Koreaner den fatalen Fehler der Ingolstädter nicht wiederholen und die flügelähnlichen Rückenpartie vor vornherein mit einem integrierten Doppel-Spoiler gegen den unerwünschten Auftrieb an der Hinterachse absicherten. Von oben betrachtet werden so gar Assoziationen an frühe Porsche 911 RS-Modelle geweckt. Wird das Bremspedal gedrückt, erstrahlt der obere Spoiler zusammenmit dem durchlaufenden Rücklichtband darunter in hunderten Licht-Pixeln. Die markentypischen Lichtquader, die erstmals im Ioniq 5 eingeführt wurden, sind außerdem unterhalb der serienmäßigen Voll-LED-Scheinwerfer, an Front- und Heckschürze sowie im Innenraum zu finden, wo beispielsweise vier Pixel das Markenlogo im Lenkrad ersetzen und interaktiv auf den Ladestaus hinweisen.

Apropos, das Interieur wird ähnlich wie beim Ioniq 5 von einer modularen Anzeigentafel dominiert, die zwei 12,25 Zoll große Displays fürs digitale Cockpit und Infotainment-System integriert. Darunter die Bedienelemente für Klimaanlage und sowie eine brückenähnlichen Mittelkonsole, auf der sich unter anderem auch die Tasten für die Seitenscheiben befinden. Etwas contra-intuitiv und gewöhnungsbedürftig. Das gilt ebenso für die beiden optionalen digitalen Außenspiegel, bei denen eine Kamera das rückwärtige Bild auf zwei OLED-Monitore an den Rändern des Armaturenträgers projiziert, während der Blick immer zuerst nach draußen wandert.

Ansonsten aber findet man sich in dem aufgeräumten und zweifarbig beleuchteten Ambiente, das sich je nach Fahrtempo ändern kann, auf Anhieb zurecht. Fahrer und Beifahrer nehmen auf konturierten Sportsitzen Platz, optional sind beide auch als Relax-Sitze ausgeführt, bei der sich die Lehnen etwa während des Ladevorgangs für eine entspannte Position weit nach hinten klappen lassen. Konnektivität wird im Ioniq 6 ebenso großgeschrieben wie vernetzte Assistenz- und Komfortsysteme. Apple- und Android-Smartphones können in das Infotainmentsystem integriert werden, inklusive vier Typ-C- und einen Typ-A-USB-Anschlüssen und eine Bluetooth-Mehrfachverbindung kann zwei Geräte gleichzeitig koppeln. Auch lässt sich die Software drahtlos „over the air“ (OTA) auf den neuesten Stand bringen. Dazu setzt auch der Ioniq 6 auf nachhaltige Materialien, je nach Ausstattungsniveau mit Öko-Leder, Kunststoffen aus recycelten PET-Flaschen und Fischernetzen oder Bio-Kautschuk fürs Armaturenbrett.

Kommen wir zu den Nachteile der schönen Form. Beim Einstieg hinten heißt es – schon bei Menschen ab 1,78 Meter – Kopf einziehen. Und ist man drin, bleibt für denselben kaum noch Platz überm Scheitel. Dafür gibt es bei knapp drei Metern Radstand eine geradezu verschwenderische Beinfreiheit. Leider lassen sich die Füße nicht unter die Vordersitze schieben, sodass intuitiv die Oberschenkel leicht gespreizt werden müssen, damit diese aufliegen können – so wird aus einem Fünf- ein Viersitzer. Aber auch der Kofferraum wird durch das außergewöhnliche Design eingeschränkt, weil die Klappe nicht (wie etwa beim TT) im Dach, sondern unter der Heckscheibe ansetzt. Zum anderen fällt er mit 401 Liter etwas mickrig aus. Umgekehrt gibt es dafür unter der Fronthaube einen so genannten „Frunk“ für die Lade-Kabelage, die nicht – wie bei vielen anderen E-Fahrzeugen – aus einem beladenen Gepäckraum mühsam herausgefummelt werden muss.

Doch neben den ästhetischen besitzt die Stromlinienform natürlich vor allem auch aerodynamische Vorzüge. Dank der flachen Frontpartie, aktiven Luftklappen im Stoßfänger, einem voll verkleideten Unterbodens oder den digitalen Außenspiegeln rauscht der Wagen mit dem bemerkenswerten cw-Wert von 0,21 wie kaum ein anderer – nur der Mercedes-Benz EQS ist mit cw 0,20 noch einen Tick besser – durch den Fahrtwind. Das senkt natürlich den Verbrauch und steigert die Reichweite, die mit bestenfalls 614 Kilometern im Vergleich zum aufrechten Fünfer-Bruder (cw 0,29 und 507 km) bei gleicher Antriebs- und Batteriekonfiguration mehr als 100 Kilometer betragen können.

Technik und Antriebe übernimmt die Limousine im Wesentlichen vom Fünfer-Ioniq. Auch der Ioniq 6 startet mit drei Leistungsstufen und zwei Batterieoptionen, wenn auch mit leicht veränderten Daten in der Basisversion. So steigt die Limousine mit 111 kW (151 PS), 53-kWh-Batterie und Heckantrieb ein, beim Ioniq 5 sind es 125 kW (170 PS) Leistung und ein 58-kWh-Akku. Bei der größeren 77,4-kWh-Batterie sind sie dann gleich: Hier überträgt die E-Maschine 168 kW (229 PS) an die Hinterachse. Beim Topmodell wiederum erzeugen je ein E-Motor an Vorder- und Hinterachse 239 kW (325 PS) Leistung sowie einen sicheren Allradantrieb.

Damit ist auch das Fahrgefühl analog zum Fünfer-Bruder äußerst sportlich. Wie man es von den Stromern kennt, zoomt auch der Ioniq 6 mit seinen 605 Newtonmetern Drehmoment ansatzlos an alles heran, was nicht bei Drei von der Bahn ist. Ampelstarts und Beschleunigungsspuren sind immer wieder ein großer Spaß, ebenso wie das schnelle Einfädeln und Spurenwechseln in der Stadt. Dabei lässt sich der Wagen auch nur mit dem Fahrpedal abbremsen, wobei über die Schaltwippe am Lenkrad die Stärke der Rekuperation reguliert werden kann, sogar bis in den Stillstand.

Richtig Laune machen auch Zwischenspurts und Überholmanöver auf der Landstraße. Über den Drive-Mode-Knopf im Lenkrad (Porsches lässt grüßen) lassen sich drei Fahrprofile Eco, Normal und Sport mit entsprechender Funktion einstellen. Wobei die Wirkung aber nur bei letzterem richtig spürbar wird, wenn der Wagen spürbar die Zügel anzieht – und Bordcomputer gleich mal 40 Kilometer Restreichweite abzieht. In knapp fünf Sekunden beschleunigt der Allradler dann von null auf Tempo 100, den Zwischenspurt von 80 auf 120 km/h erledigt er in 3,3, Sekunden und bei 185 km/h wird abgeregelt – auch wenn solche Quartettdaten den typischen E-Fahrer kaum interessieren dürften. Dafür umso mehr der Verbrauch, der offiziell nach WLTP-Norm 16,9 kWh betragen soll. Das kommt hin, nach unserer knapp anderthalbstündigen Fahrt auf 20-Zoll-Felgen mit je gut einem Drittel Stadt, Landstraße und Autobahnanteil inklusive einiger Sprint- und Spurtabschnitte registrierte der Bordcomputer im Schnitt 16,8 kWh. Apropos, trotz der großen Räder und den gut 2,1 Tonnen Gesamtgewicht rollt der Stromer verhältnismäßig kommod ab. Bodenwellen und Temposchweller nimmt er klaglos, allein Querfugen und Rüttelpisten gibt er schnell und spürbar an die Insassen weiter.

Die erwähnte maximale Reichweite von 614 Kilometer erzielt der Ioniq 6 allerdings nur in der mittleren Konstellation mit großer Batterie, Heckantrieb und 18-Zoll-Felgen. In der von uns gefahrenen Allradversion waren im besten Fall nur bis zu 519 Kilometer drin. Doch so oder so, dank der E-GMP-Architektur verfügt natürlich auch die Limousine über die 800-Volt-Schnelllade-Technologie, mit der die große Batterie an einer 350-kW-Ladesäule in nur 15 Minuten für eine Reichweite von 350 Kilometern wieder aufgeladen sein soll.

Passende Ladesäulen findet das bordeigene Navisystem, inklusive einer intelligenten EV Routenplanung, die Lade-Stopps und -Dauer für Langstreckenfahrten anzeigt. Hyundai bietet dazu einen europaweiten Ladeservice, in dem Fahrer ein Jahresabo abschließen können, das ihnen Zugang zu mehr als 440.000 Ladepunkten in 30 Ländern in ganz Europa ermöglicht. Über eine RFID-Karte oder App können Nutzer so auf das Netzwerk Digital Charging Solutions (DCS) zugreifen, das in Echtzeit über die Preise der Ladepunkte informiert. Via eRoaming lassen sich die Fahrzeuge in ganz Europa aufladen, ohne zusätzliche Verträge mit anderen Anbietern abschließen zu müssen, da die Zahlungen über eine einzige monatliche Rechnung erfolgen.

Außerdem ist der Ioniq 6 der erste Hyundai, der den Plug&Charge“-Dienst anbietet. Damit kann der Nutzer sein E-Auto ganz ohne App oder Ladekarte an der Ladestation anschließen und aufladen, weil Auto und Säule sich automatisch authentifizieren. Und so wie der „Fünfer“ beherrscht selbstverständlich auch der „Sechser“ das so genannte bidirektionale Laden. Mit der Vehicle-to-Load-Funktion (V2L) können auch umgekehrt beliebige elektrische Geräte aufgeladen werden, ob beim Camping, bei Outdoor-Projekten oder bei Stromausfällen. Zwei Steckdosen stehen zur Verfügung, eine außen in der Ladeklappe (Adapter als Zubehör) und eine im Interieur unterhalb der Rückbank, um Notebooks, Handys und andere Geräte aufzuladen. Das funktioniert sowohl im Stand als auch während der Fahrt.

Knifflig wird’s mal wieder bei der Preispolitik. Zwar gibt es schon in der Basisvariante ab 43.900 Euro eine üppige Serienausstattung, zu der unter anderem ein Navigationssystem, beheizbares Lederlenkrad, Sitzheizung, Voll-LED-Scheinwerfer, elektrische Heckklappe sowie ein anständiges Assistenzpaket inklusive adaptivem Tempomat, Rückfahrkamera, Autobahn- und Notbremsassistent gehören. Die besonderen Gimmicks jedoch sind in den drei optionalen Ausstattungspaketen „Dynamiq“ (plus 5100 Euro), „Techniq“ (plus 8200 Euro) und „Uniq“ (plus 11.300 Euro) versteckt. So gibt es etwa einen elektrisch einstellbaren Fahrersitz, Smartphone Ladeschale, oder Querverkehrswarner mit Notbremsfunktion erst in mit dem Dynamiq-Paket, Matrix-LED-Scheinwerfer und Head-up-Display im Techniq-Paket oder das bidirektionale Laden, Relax-Sitze und Bose-Sound-System nur mit dem Uniq-Paket. Die digitalen Außenspiegel kosten dann immer noch 1300 Euro extra ebenso wie die 20-Zoll-Räder (800 Euro). Dazu kommen dann noch die Aufpreise für den großen Akku und die stärkeren E-Maschinen (5000 Euro) sowie den Allradantrieb (9000 Euro). So wird das Topmodell auch schnell mal 20.000 Euro teurer. (cen/Frank Wald)

Daten Hyundai Ioniq 6 (239 kW)

Länge x Breite x Höhe (m): 4,86 x 1,88 x 1,50
Radstand (m): 2,95

Antrieb: 2 E-Synchronmotoren, Allradantrieb, 1-stufiges Reduktionsgetriebe
Systemleistung: 239 kW / 325 PS
Max. Drehmoment: 605 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 185 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,1 Sek.
Energieverbrauch (WLTP): 16,9 kWh
CO2-Emissionen (WLTP): 0 g/km
Batteriegröße: 77,4 kWh
Reichweite (WLTP): 519-583 km
Leergewicht (EU)/ Zuladung: min. 1985 kg / max. 500 kg
Kofferraumvolumen: 401 Liter
Basispreis: 61.100 Euro


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Hyundai Ioniq 6.

Hyundai Ioniq 6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Frank Wald


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Hyundai Ioniq 6, digitaler Außenspiegel.

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Hyundai Ioniq 6, digitale Außenspiegel.

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Hyundai Ioniq 6 und Autor Frank Wald.

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Hyundai Ioniq 6, digitaler Außenspiegel.

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Fahrpräsentation Hyundai Ioniq 6.

Fahrpräsentation Hyundai Ioniq 6.

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