„Verkehrswende“ Frankfurt: Fünf Prozent entscheiden, wohin die Reise geht

Was ist der Unterschied zwischen der Friedrichstraße in Berlin und dem Oeder Weg in Frankfurt? In Berlin hat die Regierung bei der Verkehrswende eine Notbremsung hingelegt. Teile der Friedrichstraße, ursprünglich für Fahrradfahrer reserviert, sind für den Autoverkehr wieder freigegeben worden. Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegener erklärt, mit der „Politik gegen das Auto“ sei Schluss. Die Radwegeplanung in Berlin wurde „angehalten“ und wird überprüft. Anders in Frankfurt. Der Magistrat hatte 2021 die Erarbeitung des Masterplans für nachhaltige Mobilität („Verkehrswende“) in Auftrag gegeben. Im Mai 2023 wurde dieser Plan veröffentlicht und wird nun umgesetzt.

Als Autofahrer ist man es längst gewöhnt, dass man nicht mehr willkommen ist. Wir werden mit Tempolimits gegängelt, man nimmt uns Fahrspuren und Parkplätze weg. Man zwingt uns zu Umwegen, zum Ausweichen auf Schleichwege und schmale Wohnstraßen. Dort stehen wir im Stau, verursachen Lärm, vergeuden unnütz Energie und ziehen uns den Zorn der genervten Anwohner zu. Bestes Beispiel: der Oeder Weg in Frankfurt. Nachdem diese Straße mit ihren kleinen Geschäften zum Fahrradweg umgewandelt wurde, bahnt sich der Verkehr seinen Weg durchs angrenzende Holzhausenviertel. Das Mobilitätsdezernat reagiert mit sogenannten Diagonalsperren. Nicht nur, dass die Besitzer der kleinen Läden vor großen Einbußen stehen, jetzt gehen auch die aufgebrachten Bürger auf die Barrikaden. Die Initiative „Frankfurt gemeinsam unterwegs“ reagiert aktuell mit einer Plakat-Aktion.

Frankfurt hat 600.000 Arbeitsplätze in der Stadt. Wohnraum in der City ist rar und für viele unbezahlbar. Deshalb kommen täglich 400.000 Pendler in die Innenstadt. Die Stadt lebt zu 72 Prozent von der Gewerbesteuer. Die garantiert in großem Maße der Mittelstand – die Reinigungen, Elektrogeschäfte, Buchläden, Weinhandlungen, die gut erreichbar sind. Diese Steuereinnahmen sind bedroht. Parkplätze für Kunden und Mitarbeiter fallen im Rahmen des Parkraummanagements weg oder werden immer teurer. Gewerbetreibende und Freiberufler haben das Anrecht auf drei Parkausweise. Der erste Parkplatz kostet 355 Euro, der zweite 561, der dritte 767. Dabei sind es nicht allein die Kosten, die nerven, sondern auch die aufwändigen Genehmigungsverfahren für die Parkplätze vor den Geschäften.

Die Stadt schlittert mit ihrer Verkehrspolitik in ein viel gravierenderes Problem: Die Verkehrswende spaltet die Gesellschaft. Wer in der City wohnt, findet die Verkehrsbeschränkungen gut. Wer sich hohe Mieten und Parkgebühren leisten kann, dem ist es egal. Es geht um reich gegen arm. Das Verkehrsmittel spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es geht um gut oder böse, um sauber oder schmutzig, um Fahrrad gegen Auto. „Die Situation wird zunehmend kritisch“, so Hendrik Gienow, ehemaliger Banker und Vorstand der Bürgerinitiative „Vorfahrt Frankfurt“. Es gehe um die Verrohung der Sitten und es geht um die Innenstadt gegen den Rest der Welt.

Und da stört es auch nicht, dass Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden. Ältere Mitbewohner beispielsweise, die ihre Einkäufe nicht auf dem Rad transportieren können. Menschen, die außerhalb wohnen und nicht mit dem Rad fahren können - oder wollen. Im Sommer mag Radfahren ja Spaß machen. Aber bei Regen oder im Winter? 15 Prozent der Bürger fahren Rad, 85 Prozent nicht. Das Ergebnis: Der Bürger sitzt in seinem Auto im Stau, die Radwege sind fast leer. Und die Alternative zum Rad? Die Pendler, die in der City ihrer Arbeit nachgehen und zum Wohlstand der Stadt beitragen, sollen auf die öffentlichen Nahverkehrsmittel umsteigen. Der ÖNPV ist aber „schlecht ausbaut, ungepflegt und teuer“, so Dr. Annette Oboth, Mitglied des Vorstands der Bürgerinitiative „Vorfahrt Frankfurt“.

Die Bürgerinitiative plädiert dafür, dass man erst einmal den ÖPNV auf Vordermann bringt, ihn attraktiver und umweltfreundlicher machen sollte, bevor man in blindem Aktionismus Straßen verengt und zurückbaut. Man sehe sich nicht als Autofahrer-Fraktion, aber man möchte die Verkehrswende nicht über das Knie gebrochen haben. „Wenn wir eine lebendige Innenstadt mit Restaurants, Geschäften, Kultur- und Freizeiteinrichtungen erhalten wollen, müssen diese auch erreichbar sein“, so Hendrik Gienow. Sein Kritikpunkt: „Die Stadt verursacht mit Absicht Staus.“ Man möchte Autofahrer „vergrämen“. „Anderswo gilt Mobilität als Errungenschaft, in Frankfurt gilt sie ab sofort als unmoralisch“, argumentiert Oboth. Die Bürger wollen nicht bevormundet werden. Und sie wollen nicht, dass ihre Geschäfte und ihre Betriebe durch diese Verkehrspolitik geschädigt werden. Ist die Stadt nicht mehr erreichbar für die Angestellten der Betriebe und ihre Kunden, dann müssten diese mittelfristig die Stadt verlassen. „Hier steht der Wohlstand der Stadt auf dem Spiel“, erklärt Gienow. Das wird aber offensichtlich in Kauf genommen. Die Autogegner arbeiten ihre Agenda konsequent ab: Nach Diesel-Fahrverboten kommt das Verbrenner-Aus - und schließlich das Auto-Aus.

Die Verkehrswende und die bewusste Aussperrung des automobilen Individualverkehrs, so verteidigt Mobilitätsdezernent Stefan Majer die Strategie, entspreche dem Wunsch der Menschen. Fakt ist, dass sich der Magistrat auf einen „Radentscheid“ mit 40.000 Einwohnern beruft. Fünf Prozent entscheiden, wohin die Reise in Frankfurt geht! Die Anliegen von 400.000 Pendlern, von Berufstätigen, Fußgängern, Handwerkern und Einzelhändlern bleiben unberücksichtigt. „Wenn Zehntausende mit dem Fahrrad fahren wollen und Hunderttausende mit dem Auto fahren müssen, dann sollte die Hauptaufgabe der Politik eigentlich klar vorgegeben sein“, so Gienow. Die Forderung der Initiative „Vorfahrt Frankfurt“: Man möchte ein Verkehrskonzept, das alle Verkehrsteilnehmer frei von Ideologien berücksichtigt.

In Berlin reagiert die Politik. „Frontalangriff auf die Mobilitätswende“ titelt die „Berliner Morgenpost“. Es geht um den Stopp des Radwegausbaus und die Neudefinition des Mobilitätsgesetzes. Themen wie Parkraummanagement, Neuverteilung der Verkehrsflächen oder das Stadtzentrum ohne Verbrennungsmotoren sollen neu überdacht werden. In Frankfurt geht die Bürgerschaft zwar auf die Barrikaden. Der Masterplan für nachhaltige Mobilität („Verkehrswende“) soll aber ungeachtet der Proteste umgesetzt werden.

Interessantes Detail am Rande: Einer der Ersteller des Masterplans für nachhaltige Mobilität war die PTV Group aus Karlsruhe, an der die Porsche Automobil Holding zu 40 Prozent beteiligt ist. Frankfurt fährt also mit Turbo-Power in die Verkehrswende. Da wundert es nur, dass es noch keine Prioritätsspur gibt, auf der der Elektro-Porsche Taycan am Stau vorbeidüsen kann. (cen/Bernd Ostmann)


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Bilder zum Artikel

Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Bernd Ostmann


Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Bernd Ostmann


Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Bernd Ostmann


Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Plakataktion gegen Masterplan "Verkehrswende" in Frankfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Bernd Ostmann


Fahrradstraße.

Fahrradstraße.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Stadt Essen