Zu Fuß gehen ist die Basismobilität

Nicht einmal die Hannoveraner haben es geahnt: Unter der so gar nicht weltstädtischen Oberfläche lauert in Hannover die Rebellion. Die Deutsche Umwelthilfe hat hier ihre Heimat; die Justiz dreht schon einmal an den Fakten, wenn es grün sein soll, so geschehen im Prozess gegen die Feinstaubplakette. Das Gericht ersetzte den Begriff Feinstaub kurzerhand durch Stickoxid und fand das rechtens. Oder mit dem grünen Bürgermeister Belit Onay, der als erster Amtsträger ein Bündnis mit der „Letzten Generation“ einging. Er hielt die Kleber draußen mit der Zusage, mit dem „Bürgerrat“ eine scheindemokratische Parallelwelt zu unterstützen.

Nun geht Belit Onay daran, seine Wahlversprechen von 2021 umzusetzen: Bis 2035 will er die Innenstadt der niedersächsischen Landeshauptstadt mit ihren 530.000 Einwohnern autofrei gestalten und so den insgesamt 1,2 Millionen Menschen im Großraum Hannover ein attraktiveres städtisches Umfeld schaffen. Ob die Menschen das immer noch tragen, wird sich bei der nächsten Kommunalwahl im Oktober 2026 zeigen. Onay selbst bleibt mehr Zeit als den Mitgliedern seines Rats. Der Oberbürgermeister wird in Niedersachsen für acht Jahre gewählt – Onay also bis November 2027.

Es bleiben dem 42-jährigen Goslarer, der vom Jurastudium direkt in die hannoversche Landespolitik wechselte nur noch vier Jahre Zeit, die Bürger mit der Innenstadt zu überraschen, die sie angeblich schon immer wollten. „Das Thema Experimente ist abgeschlossen“, sagte er der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ diese Woche. „Jetzt geht es in die Realisierung“. Der Rat hatte mit der Mehrheit der beiden fast gleichgroßen Fraktionen der Grünen und der SPD vor einem Jahr den Plan einer autofreien Innenstadt gebilligt.

Nicht erst nach den ersten Rückbaumaßnahmen, Sperrungen und Extra-Fahrradwegen prallte Widerspruch auf Begeisterung. Onay beruhigt jetzt im Interview: „Häufig wird der Eindruck erweckt, wir wollten die Mobilität einschränken“, sagte er jetzt der „Hannoverschen Allgemeinen“. Doch das Gegenteil sei der Fall. „Es wird mehr Mobilität bei weniger Verkehr geben in der Innenstadt“.

Durchgangsverkehr für Autos verhindern

Das Zentrum Hannovers ist ungewöhnlich kompakt. Das beschränkt zwar die Fläche, die autofrei und grün werden soll. Aber in Hannover als Schnittpunkt uralter Verkehrsrouten führen alle Wege durchs Zentrum. Der Onay-Plan beginnt deswegen damit, diese Diagonalen zu kappen. Wer dann von der einen Seite der Stadt zur anderen will, muss als Autofahrer außen herumfahren. Er könnte allerdings auch auf die Öffentlichen umsteigen, denn für die bleibt die Diagonale offen. Nahezu alle Linien der Stadtbahn kreuzen sich am Hauptbahnhof mitten im Zentrum.

Kein Parken am Straßenrand

Hannovers Zentrum hat zur Zeit rund 3800 Parkplätze am Straßenrand. Die sollen bis auf wenige Ausnahmen alle weg. Ausnahmen soll es nur für Liefer- und Ladeverkehr sowie für Menschen mit Mobilitätsproblemen geben. Nur Anlieger sollen zu ihren Grundstücken fahren dürfen. Onay ist sich sicher, die hannoverschen Parkhäuser bieten genug freie Kapazitäten. Außerdem sollen Park-and-Ride-Möglichkeiten ausgebaut werden.

Vorrang für Fußgänger

Der Stadtbaurat Thomas Vielhaber (SPD) beschreibt das Konzept mit „Zu Fuß gehen ist die Basismobilität“. In seiner Vorstellung gilt das auch für die Radfahrer, die nach dem Parken ihres Vehikels zu Fuß unterwegs sind. Deshalb – so Vielhaber – müsse die Infrastruktur auf diese Bewegungsart ausgerichtet sein.

Kosten – Wir werden sehen

Teuer wird es. Wie teuer, lässt sich heute nicht feststellen. Weil der Umbau aus vielen Einzelmaßnahmen besteht, gibt es bisher keine Gesamtrechnung. Onay ist sich aber sicher, es lohne sich. Der Umbau werde dazu führen, die Stadt zukunftsfähiger zu machen. Die Verwaltung hat – so der OB – bereits mehr als 20 Millionen Euro bei Land und Bund als Fördermittel gesichert.

Sorgen und Kritik

Von der CDU als größter Oppositionspartei im hannoverschen Rat kommt scharfe Kritik: Mit seinem Konzept setze Onay „die Axt an der Zukunftsfähigkeit der Innenstadt an“, sagt CDU-Ratsfraktionschef Felix Semper. Sein Kollege Lars Kelich als Chef der SPD-Fraktion zeigt mehr Zurückhaltung als Ablehnung, wenn er fragt, ob beim Reduzieren des Parkens am Straßenrand „Maß und Mitte gewahrt“ und die Bürger genug gehört worden seien. Sein Rats-Kollege Steffen Krach wird deutlicher: „Wie es weitergeht, wenn die Autos weg sind, beantwortet das Konzept nicht.“ Nach mehreren Jahren Corona-Pandemie brauche es für Gastronomie, Einzelhandel, Kultur und Sport endlich konkrete Ideen für eine lebendige Innenstadt. Und die bleibe das Konzept schuldig.

Martin Prenzler, Geschäftsführer der in der City-Gemeinschaft zusammengeschlossenen Unternehmen in der Innenstadt, findet es grundsätzlich positiv, dass die Stadt die City zukunftssicher und widerstandsfähiger machen will. Er sieht in einigen Bereichen eine „ganz klare Steigerung der Attraktivität“, warnt aber, „Straßensperrung dürfen nicht zum Selbstzweck werden". Sorgen bereiten ihm die Kapazität der Ringstraße um die City, der Kreuzungen und die Zu- und Abfahrten zu den Parkhäusern sowie das Risiko eines Verkehrs-Kollaps zum Beispiel vor Weihnachten.

Schöne neue Welt?

Nicht nur Hannoveraner hoffen, das dieses Onay-Konzept zeigen möge, wie es mit Großstädten funktioniert und ob es der niedersächsischen Landeshauptstadt wirklich Zukunftsfähigkeit bringt. Sie alle leiden unter ähnlichen Problemen: In den Citys wohnen nur wenige Familien, mit dem Homeoffice sinkt zwar die Verkehrsmenge, aber das Leben und Wohnen zieht an den Stadtrand, wo die Gemeinden des Speckgürtels ihren Bürgern ebenfalls mehr Lebensqualität anbieten wollen, der große Kaufhaus-Einzelhandel hat sein Attraktivität verloren oder die City schon verlassen und dann die Demographie: die Leute werden älter und damit immobiler.

Gehen wir davon aus, dass das Motto „Zu Fuß gehen ist die Mobilität der Zukunft“ auch Ausnahmen zulassen muss, dann sind das die Verkehrsteilnehmer der Zukunft in einer Innenstadt, wie Hannover sie plant: Fußgänger gegen Skatboard-Fahrer, Rollatorbesitzer, Mountainbikefahrer, E-Scooter-Nutzer, Rollstuhlfahrer, Kinder auf Laufrädern, Kinder in Lastenfahrrädern, E-Karren für Auslieferung, Straßenbahnen und Busse sowie Rikschas mit Touristen. Von allen denen wissen wir aus Erfahrung, dass sie sich selten an Regeln halten. Die Autofahrer werden auf den eingeengten Routen zu den Parkplätzen ihrer Arbeitgeber rollen – ganz gesittet, weil sie sonst angefeindet oder angegangen würden. Es wird also bunt auf Hannovers Straßen und sicherlich von einem sicheren Platz aus auch nett zu beobachten sein. (Peter Schwerdtmann, cen)


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Bilder zum Artikel

Die neue Verkehrsführung in Hannover.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Landeshauptstadt Hannover


Kollaps mit neuem Verkehrskonzept bei Großveranstaltungen: Weihnachtsmarkt in Hannover.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Landeshauptstadt Hannover