„Bei der Klimaneutralität ist die Nutzfahrzeugbranche technologieoffener“

Holger Klein, Vorstandschef von ZF Friedrichshafen, bereitet den weltweit drittgrößten Automobilzulieferer unbeirrt auf die elektrische Zukunft vor. Der batterieelektrische Antrieb wird die wichtigste Motorisierung bei Pkw, Lkw und Bussen – aber nicht die einzige. Die Nutzfahrzeugbranche ist viel technologieoffener als die Pkw-Industrie, sagt Klein im Interview. Und derzeit wächst im Autogeschäft ausgerechnet der Plug-in-Hybrid, die Kombination aus Batterieantrieb und Verbrenner, weltweit am schnellsten – vor allem in China, aber auch in Europa. Der Erfolg chinesischer Autohersteller in Europa macht dem Zulieferer vom Bodensee keine Angst, denn in Nio, BYD und MG steckt viel von ZF.

Herr Klein, der Plug-in-Hybrid oder PHEV galt lange als Brückentechnologie auf dem Weg zum rein batterieelektrischen Fahrzeug (BEV). In Deutschland ist die Nachfrage nach dem Ende der Förderung stark eingebrochen. Wie sieht es in anderen Märkten aus?

Holger Klein: Vor allem in China sind PHEV sehr beliebt. In den ersten neun Monaten des Jahres ist die Nachfrage um über 80 Prozent auf 1,5 Millionen Fahrzeuge gestiegen. Auch in den Niederlanden steigt sie aktuell um rund 50 Prozent. Besonders Kunden mit Reichweitenangst wählen diese Fahrzeuge. Moderne PHEV können bis zu 130 Kilometer elektrisch fahren.

Woran liegt die Beliebtheit des PHEV in China, eigentlich ja der Leitmarkt für Batterieautos?

In China zählt ein PHEV wie ein BEV zu den New Energy Vehicles. Das heißt, die Kunden kriegen sofort ein Nummernschild. Wenn Sie ein herkömmliches Auto anmelden wollen, warten Sie Ewigkeiten auf eine Zulassung oder müssen an einer Verlosung teilnehmen. Auch die Kunden in China wissen, dass außerhalb der großen Städte die Ladeinfrastruktur nicht so gut entwickelt ist. Übrigens sind in China auch Hybride mit Range Extender beliebt, bei denen ein Verbrennungsmotor bei Bedarf die Batterie lädt.

Ist das ein rein chinesisches Phänomen?

Wir sehen den Trend auch in Europa. Man sollte da nicht nur aus einer deutschen Perspektive darauf schauen. In Schweden und Holland hat der PHEV durchaus Wachstumsraten. Ich fahre selbst ein batterieelektrisches Fahrzeug. Da merken sie schnell die Grenzen der Ladeinfrastruktur in manchen Regionen – auch in Deutschland.

Ist die Infrastruktur in anderen Ländern besser?

Nicht unbedingt. Ich komme gerade aus Japan zurück, da laden Sie auch mal mit nur drei Kilowatt. Das dauert dann ewig. Die Infrastruktur ist sehr entscheidend in den einzelnen Märkten für die Akzeptanz der batterieelektrischen Fahrzeuge.

Heißt das, der BEV setzt sich doch nicht so schnell durch?

Das batterieelektrische Auto wird die Norm sein. Deswegen haben wir bei ZF uns auf diese Transformation eingelassen und unsere Abhängigkeit vom Verbrenner stark reduziert – von 60 Prozent im Jahr 2015 auf derzeit nur noch rund 30 Prozent. Diesen Weg gehen wir weiter. Aber als Brückentechnologie hat der PHEV durchaus seine Berechtigung.

Wie lange wird es beide Antriebe parallel geben?

In Europa sicherlich bis zum Ende des Verbrenners im Jahr 2035, im Rest der Welt ist das Datum noch offen. China will erst 2060 klimaneutral sein und bis 2030 den CO2-Ausstoß sogar noch steigern.

Im Pkw ist der Elektroantrieb verglichen mit dem Lkw noch relativ leicht zu realisieren. Steht die Technik bei den Nutzfahrzeugen nicht noch ganz am Anfang?

ZF ist der größte Zulieferer für die Nutzfahrzeughersteller. Das Thema der Elektrifizierung des Nutzfahrzeugs beschäftigt ZF sehr und es gibt auch bereits serienreife Lkw mit E-Antrieb. Aber es fehlt noch die Infrastruktur.

Elektro-Lkw zu bauen ist das eine, aber wo sollen sie geladen werden? Es gibt 71.000 Lkw-Stellplätze an den deutschen Autobahnen, wer soll die alle elektrifizieren?

Lassen Sie uns den positiven Aspekt dieser Herausforderung betrachten: Beim Erreichen der Klimaneutralität ist die Nutzfahrzeugbranche technologieoffener. Es gibt eben nicht nur die rein batterieelektrische Lösung. Das gilt vielleicht für Busse, die in Europa bis 2035 ausnahmslos elektrisch fahren sollen. Die können abends im Depot geladen werden. Aber für 40-Tonner auf langen Strecken ist es ein anderes Spiel. Da braucht es technologische Vielfalt.

Welche Lösungen sehen Sie da noch neben der Batterie?

Eine langstreckentaugliche Lösung ist die Brennstoffzelle, in der Wasserstoff im Fahrzeug in Strom umgewandelt wird. Batterieelektrisch, wie beim Pkw, werden Nutzfahrzeuge eher im städtischen Umfeld unterwegs sein, wo sie dann auch gut laden können. Eine dritte Möglichkeit ist, und das erstaunt den einen oder anderen, Wasserstoff als Kraftstoff in einem Verbrennungsmotor zu nutzen.

Das klingt jetzt wenig effizient. Schon bei der Produktion von Wasserstoff wird ja viel Energie eingesetzt. Beim Verbrennen geht dann erneut Energie verloren. Kann sich das lohnen?

Für bestimmte Anwendungen, zum Beispiel, um mit einem 40-Tonner über die Alpen zu kommen, braucht man eine sehr hohe Energiedichte, um die entsprechende Leistung abzurufen. Das ist rein batterieelektrisch oder mit der Brennstoffzelle deutlich schwieriger umzusetzen.

In Summe setzt das aber alles voraus, dass die Rahmenbedingungen passen, genügend Wasserstoff vorhanden ist.

Offensichtlich haben wir im Moment noch zu wenig grünen Wasserstoff, und den brauchen wir auch in anderen Industrien, zum Beispiel bei der Dekarbonisierung der Stahlerzeugung. Also müssen wir jetzt schnell genügend davon produzieren. Und dann müssen wir prüfen: Wo brauchen wir die Wasserstoff-Tankstellen an den Autobahnen und wo die Schnelllader? Man muss den Güterverkehr gesamthaft denken.

Ein weiteres Thema, das die Branche im Moment umtreibt, ist China: Chinesische Autobauer drängen auf den europäischen Markt. Eine Gefahr für die heimische Industrie wie ZF?

Wir sind ein weltweit aufgestelltes Unternehmen und machen mit unseren Werken in China 50 Prozent unserer Umsätze mit lokalen Kunden, also mit chinesischen Autoherstellern. Und die messen uns im Wesentlichen an unserer Wettbewerbsfähigkeit, an unserer Innovationskraft und an unserer Geschwindigkeit.

Und ihr Entwicklungstempo passt?

Um in China erfolgreich zu sein, müssen wir dieses Tempo mitgehen können. Die klassischen Entwicklungszyklen haben sich komplett verändert. Früher wurde ein Auto entwickelt und war für mindestens sechs Jahre im Markt, nach drei Jahren macht man ein Facelift und entwickelt gleichzeitig die nächste Generation. Heute wird ein neues Modell in zwei Jahren entwickelt und dann kontinuierlich mittels Over-the-Air-Updates weiterentwickelt. Das Auto wird immer stärker über die Software definiert und entwickelt sich deshalb ständig weiter.

Kann es sein, dass die chinesischen Hersteller da viel offener sind für neue Technologien, speziell bei der Digitalisierung?

Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die erfahrenen internationalen Hersteller totreden. Manchmal hat man den Eindruck, etwa in der Berichterstattung zur letzten IAA, es geht nur noch um Autos aus China. Dabei ist etwas untergegangen, dass zwei deutsche Hersteller neue Modellgenerationen mit einer komplett neu entwickelten und spannenden Softwarearchitektur vorgestellt haben. Dieser Wettbewerb ist ein Marathon, kein Sprint.

Haben Sie schon Kunden für ihr neues, digitales Lenksystem, Steer-by-Wire?

Unsere ersten Kunden dafür haben wir gleichermaßen in Nordamerika und Europa gewonnen, das sind also die klassischen Hersteller. Aber auch in China haben wir mit Nio einen ersten Kunden für Steer-by-Wire.

Das heißt, über den Umweg Nio kommen natürlich auch die Technologien nach Deutschland zurück, die sie hier entwickelt haben?

Absolut, allerdings entwickeln wir unsere Technologien oftmals weltweit im Verbund verschiedener Entwicklungsstandorte. Wenn Sie sich die Autos anschauen, die künftig aus China kommen, von Herstellern wie BYD, Nio oder Geely, werden Sie bei Komponenten wie Stoßdämpfern, Lenkungen oder Bremsen viel von ZF finden. (cen)


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Bilder zum Artikel

ZF-CEO Holger Klein.

ZF-CEO Holger Klein.

Foto: Autoren-Union Mobilität/ZF


ZF-Vorstandsvorsitzender Holger Klein und William Li, Gründer und CEO von Nio.

ZF-Vorstandsvorsitzender Holger Klein und William Li, Gründer und CEO von Nio.

Foto: Autoren-Union Mobilität/ZF


Dr. Holger Klein.

Dr. Holger Klein.

Foto: Autoren-Union Mobilität/ZF