Unterwegs mit dem Mercedes G 500 auf der Route der Industriekultur

Seine Tage sind gezählt. Demnächst wird ein Geländeauto von Mercedes mit acht Zylindern nur mehr als G 63 bei der Tochtergesellschaft AMG produziert, von der Muttergesellschaft selbst soll es statt des Mercedes G 500 ab 2024 eine voll elektrifizierte G-Klasse (namens EQG) neben den Sechszylinder-Verbrennerversionen für Fahrten über Stock und Stein geben. Höchste Zeit also, sich gegen Ende noch einmal mit dem Alten zu beschäftigen, der seit 1979 gebaut wird. Trotz vielfacher Modellpflege – darunter eine besonders intensive vor fünf Jahren – hat er bis heute auch als Neuwagen den Charme eines immer noch sehr rüstigen, freilich in die Jahre gekommenen Youngtimers behalten.

Dazu gehören zum Beispiel noch Türgriffe mit Knopfdruck, Ersatzrad außen am Heck, exponierte Blinker auf den vorderen Kotflügeln und innen eine nostalgische Analoguhr mit Stunden- und Minutenzeiger unterhalb der Armaturentafel. Doch damit nicht genug. Selbst das satte Geräusch beim Schließen der Türen oder das der in Funktion tretenden Zentralverrieglung erinnern an Zeiten der 1980er Jahre. Ein Touchscreen zur Bedienung von Navi, Radio, Telefon und weiteren Funktionen, heute in der Luxusklasse eine Selbstverständlichkeit, fehlt. Stattdessen befindet sich auf der Mittelkonsole ein klobiger Handgriff, der als eine Art Eier legender Wollmilchsau vielfältige Aufgaben erledigen kann.

Zuständig fürs Grobe

Zu Beginn zielte der Wagen in erster Linie auf Jagdpächter oder Kiesgrubenbesitzer, die abseits asphaltierter Strecke nach dem Rechten sehen mussten und wenig Wert auf größeren Komfort legten. Sie wussten, dass im Gelände kein anderes Auto den Fahrzeugen aus der G-Serie etwas vormachen konnte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wohl aber, was den Luxus des Vorankommens mit dem G 500 angeht.

Abseits der Piste bewältigt er bei griffigem Untergrund Steigungen von bis zu 100 Prozent oder 70 Zentimeter tiefe Gewässer und noch tieferen Schlamm. Schräglagen von maximal 35 Grad meistert er laut Werksangaben ohne umzukippen. Fazit: Dieses Fahrzeug kann weit mehr, als der Mut der meisten seiner Fahrerinnen oder Fahrer zulässt.

Diesen Gedanken im Bewusstsein, aber auch mangels eigener Kiesgruben und Jagdreviere, entschlossen wir uns, den Mercedes G 500 nur auf befestigten Straßen auszuprobieren, und zwar auf einer Route, die dem Charakter des Wagens in punkto Nostalgie und Erinnerung an frühere Zeiten entspricht. Was wäre da besser gewählt als die „Route der Industriekultur“? Sie hat als einzigartige Themenstraße über Deutschlands Grenzen hinaus Berühmtheit erlangt, weil sie auf insgesamt 400 Kilometern die beeindruckendsten Industriedenkmäler des Ruhrgebiets verbindet.

Quer durch den Pott

Entlang dieser Route lassen sich die wichtigsten Zeugnisse der 150-jährigen industriellen Vergangenheit des Ruhrpotts entdecken. Dazu zählen 25 zentrale Ankerpunkte mit Museen, unter Denkmalschutz stehenden Industrieanlagen und stillgelegten Zechen. Außerdem bieten 17 Aussichtspunkte faszinierende Panoramen auf einen der größten Ballungsräume Europas. Wo einst der Abraum der Zechen und Hütten abgeladen wurde, entstanden künstliche Gipfel, auf denen sich die Natur längst das Land zurückerobert hat und heute Besuchern atemberaubende Blicke auf die Landschaft zu ihren Füßen bieten.

Als die Zahl der Arbeiter dank Stahl und Kohle explodierte, musste vor allem eins her: Wohnraum. Die Lösung waren Werkssiedlungen und Zechenkolonien. 13 der bedeutendsten Siedlungen der Region sind Teil der Route. Mit ihrer vielseitigen Architektur sind sie auch Denkmal für das Alltagsleben „inner Kolonie“, wie es im dort üblichen Dialekt heißt, und haben sich seit damals kaum verändert.

Auch die Architektur der G-Klasse hat sich im Laufe ihres Lebens nur unwesentlich gewandelt und blieb – wie es in Stuttgart heißt – als dienstälteste Modellreihe des Konzerns dem Charakter des Urgesteins treu. „Die G-Klasse stellt den Urmeter der SUVs dar. Wir haben diese Ikone in ihrem Charakter sehr verantwortungsvoll behandelt und dennoch gleichzeitig durch puristische Reduzierung in den modernen Luxus überführt“, sagt Chief Design Officer Gorden Wagener.

Aufstieg auf den Hochstand

Wenig luxuriös gestaltet sich allerdings für die Passagiere vorne wie hinten aufgrund der hohen Bodenfreiheit die Kletterpartie in den Geländewagen. Dazu fiel kürzlich dem Fachblatt „Auto Motor & Sport“ die sarkastische Formulierung ein: „Für das Einsteigen ist eine Mitgliedschaft im Deutschen Alpenverein kein Fehler.“ Stimmt.

Einmal drinnen ist dann wieder alles ok. Die Sitze sind bequem, bieten hervorragenden Seitenhalt, und über das Geräuschniveau bei zurückhaltender Fahrweise gibt es nichts zu meckern. Auf den beiden vorderen Sitzen sind Unebenheiten der Fahrbahn kaum zu spüren, hinten bekommen die Passagiere Schlaglöcher, Kanaldeckel oder Bodenwellen etwas deutlicher mitgeteilt.

Gibt freilich der Mensch am Steuer dem Achtzylinder beherzt die Sporen, meldet sich die Maschine mit sattem Brummen zu Wort. So zum Beispiel auf der Autobahn in Richtung Villa Hügel – unserer ersten Station auf der Route der Industriekultur – in Essen. Wenn sich der Zweieinhalbtonner im Bereich der 200 km/h-Marke bewegt, gleicht sein Durst allerdings dem eines Seemanns auf Landgang. Weil er dann rund ein halbes Pfund Kohlendioxid pro Kilometer in die Umwelt bläst, dürfte angesichts des Wagens so manchem Klimaaktivisten der Sekundenkleber in der Hosentasche kochen.

Eigenheim auf 280.000 Quadratmetern Grundstück

Als Symbol der Industrialisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert schlechthin gilt die in einem 28 Hektar großen Park liegende Villa Hügel, die der Stahlindustrielle Alfred Krupp 1870 als Wohnsitz mit höchsten Ansprüchen und zur Repräsentation des Unternehmens bauen ließ. 1873, also vor genau 150 Jahren, bezog die Familie Krupp ihr neues Domizil. Von 1931 an wechselte die Familie für einige Jahre vom Haupt- in das sogenannte Kleine Haus. Im Zweiten Weltkrieg diente die Villa dann als Fluchtstätte für ausgebombte Angehörige und als Konzernstandort. 1945 kam das Aus: Die Alliierten verhafteten Alfred Krupp von Bohlen und Halbach, einen der Hauptwaffenproduzenten des Dritten Reichs. Seit 1953 ist das Haus der Öffentlichkeit zugänglich und hat sich seitdem mit Ausstellungen und Kulturveranstaltungen überregional einen Namen gemacht.

Welterbe Zollverein

Knapp 15 Kilometer von der Villa entfernt liegt eine weitere Ikone vergangener goldener Zeiten der Ruhrindustrialisierung und trägt den Rang „UNESCO-Welterbe“, die Zeche Zollverein. Sie galt einst als modernste Bergwerksanlage und steht heute als Wahrzeichen und Symbol des alten und des neuen Ruhrgebiets. Zollverein symbolisiert zugleich den Strukturwandel, der die Bergbauregion in eine moderne Metropole verwandelt hat.

Das Bergwerk rund um die 55 Meter hohe zentrale Förderanlage war in den 1930er Jahren das größte und leistungsfähigste weltweit. 1972 erreichte Schacht XII seine endgültige Tiefe von circa 1000 Metern. Tag für Tag wurden mehr als 23.000 Tonnen Rohkohle ans Tageslicht geholt – eine Förderleistung, die der vierfachen Menge einer durchschnittlichen Revierzeche entsprach. Während der gesamten Betriebszeit wurden zwischen 1851 und 1986 insgesamt 240 Millionen Tonnen Kohle abgebaut. Über und unter Tage waren bis zu 8000 Bergleute im Schichtwechsel beschäftigt, insgesamt haben bis zur Schließung der Zeche 1986 mehr als 600.000 Menschen auf Zollverein gearbeitet.

Schiff auf, Schiff ab

Als nächstes Bauwerk steuern wir mit dem G 500 das Schiffshebewerk Henrichenburg bei Waltrop an. Es war ein Schlüsselbauwerk im Dortmund-Ems-Kanal, denn erst mit seiner Fertigstellung konnte die künstliche Wasserstraße von Binnenschiffen bis zum Dortmunder Hafen befahren werden. Das Hebewerk ist das größte und spektakulärste Bauwerk am Dortmund-Ems-Kanal.

Mit seiner Hilfe sollten Schiffe eine Geländestufe mit 14 Metern Höhenunterschied überwinden. Wirtschaftliche und betriebstechnische Überlegungen hatten zu dieser Lösung geführt. Sie war kostengünstiger als die zunächst vorgesehene Schleusentreppe mit zwei oder drei Schleusen. Als technische Neuheit konnten im Schiffshebewerk Henrichenburg Schiffe bis zu 750 Tonnen Ladefähigkeit gehoben werden.

Mit dem Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals für größere Schiffe wurde das alte Schiffshebewerk zu klein, später auch die benachbarte Schachtschleuse. Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme des neuen Schiffshebewerks Henrichenburg im Jahr 1962 verfiel das alte Hebewerk. Nach aufwändiger Restaurierung und Rekonstruktion ohne die Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion ist das alte Gemäuer in Waltrop seit 1992 ein vielbesuchtes und beliebtes Museum für die Geschichte des westdeutschen Kanalnetzes und seiner Schifffahrt.

Rundkurs mit Nebenspuren

Trotz der Bezeichnung „Route der Industriekultur“ handelt es sich nicht um eine einzige Strecke, sondern um ein Netz, das Museen, Ausstellungen, Panorama-Aussichtspunkte und historisch bedeutsame Siedlungen miteinander verbindet. Herausragende Anlaufstellen sind zum Beispiel

- der 117 Meter hohe Gasometer in Oberhausen, einst mit 347.000 Kubikmetern Fassungsvermögen Europas größter Gasbehälter, ist er heute höchste Ausstellungshalle und Kulturort für Theateraufführungen, Vorträge, Konzerte und weitere Großveranstaltungen,

- unweit davon die Siedlung Eisenheim. Sie ist die älteste Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets, eine der ältesten erhaltenen Arbeitersiedlungen in Deutschland und die erste deutsche Arbeitersiedlung, die unter Denkmalschutz gestellt wurde,

- der Landschaftspark Duisburg Nord rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk des Thyssen-Konzerns. Fünf Hochöfen produzierten dort in 84 Jahren 37 Millionen Tonnen Eisen. Heute steht das Gelände für Sport und Freizeit zur Verfügung. So etwa mit einem Kletterpark und einem mit Wasser gefüllten Gasometer zum Sporttauchen.

Detaillierte Informationen stehen im Internet (https://www.route-industriekultur.ruhr) zur Verfügung. Auf Wunsch sind hier vom Regionalverband Ruhr kostenlos gedruckte Informationen erhältlich. Besonders empfehlenswert ist der „Entdeckerpass“.

Wie es weiter geht

Mehrere Wochen wären nötig, um sämtliche Attraktionen der „Route der Industriekultur“ in Ruhe zu erkunden. Dazu fehlte uns mit dem Mercedes-Benz G 500 die Zeit. Dieses Auto mit acht Zylindern wird es demnächst aus dem Werk im österreichischen Graz von der Mercedes-Benz G GmbH nicht mehr geben. Im Verlauf der vergangenen vier Jahrzehnte hat sich die G-Klasse vom reinen Nutzfahrzeug zum Lifestyle-Objekt etabliert.

Im April dieses Jahres lief das 500.000ste Exemplar der Modellreihe vom Band. Der Erfolg dürfte nicht zuletzt an ihrem unverwechselbaren Charakter und dem typischen Erscheinungsbild liegen. Und was kommt danach? Mit der rein elektrischen G-Klasse, die ab 2024 parallel zu den Modellen mit Verbrennungsmotoren gebaut werden soll, wagt Mercedes für die Geländewagen-Ikone einen Schritt in die Zukunft. Während auch die vollelektrische Version weiterhin ganz in der Designtradition der Baureihe steht, soll sie – wie es in Stuttgart heißt – mit ihren Offroad-Fähigkeiten neue Maßstäbe setzen: Vier radnahe und individuell angesteuerte Elektromotoren sollen besondere Fahreigenschaften bieten, wobei die im Leiterrahmen integrierten Batterien für einen tiefen Schwerpunkt sorgen. Wir dürfen gespannt sein. (cen)

Daten Mercedes-Benz G 500

Länge x Breite x Höhe (m): 4,82 x 1,93 x 1,97
Radstand (m): 2,89
Antrieb: V8-Benziner, 3982 ccm, AWD, 9-Gang-Aut.
Gesamtleistung/Leistung: 310/kW / 422 PS bei 5250–5500 U/min
Max. Drehmoment: 610 Nm bei 2250–4.750 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,9 Sek.
Durchschnittsverbrauch: 12,1 - 11,5 Liter
CO2-Emissionen: 276-263 g/km
Leergewicht / Zuladung: min. 2429 kg / max. 721 kg
Kofferraumvolumen: bis zu 1941 Liter
Basispreis: 128.775 Euro
Testwagenpreis: 153.242 Euro


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Bilder zum Artikel

Mercedes-Benz G 500 an der Krupp-Villa Hügel in Essen.

Mercedes-Benz G 500 an der Krupp-Villa Hügel in Essen.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 an der Krupp-Villa Hügel in Essen.

Mercedes-Benz G 500 an der Krupp-Villa Hügel in Essen.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 an der Krupp-Villa Hügel in Essen.

Mercedes-Benz G 500 an der Krupp-Villa Hügel in Essen.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 an der Zeche Zollverein.

Mercedes-Benz G 500 an der Zeche Zollverein.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Bewnz G 500 an der Zeche Zollverein.

Mercedes-Bewnz G 500 an der Zeche Zollverein.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 am Schiffshebewerk Henrichensburg.

Mercedes-Benz G 500 am Schiffshebewerk Henrichensburg.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 am Schiffshebewerk Henrichensburg

Mercedes-Benz G 500 am Schiffshebewerk Henrichensburg

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 am Schiffshebewerk Henrichensburg.

Mercedes-Benz G 500 am Schiffshebewerk Henrichensburg.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 am Gasometer in Oberhausen.

Mercedes-Benz G 500 am Gasometer in Oberhausen.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 in der Arbeitersiedlung Eisenheim.

Mercedes-Benz G 500 in der Arbeitersiedlung Eisenheim.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Mercedes-Benz G 500 in der Arbeitersiedlung Eisenheim.

Mercedes-Benz G 500 in der Arbeitersiedlung Eisenheim.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Ein Hauch Nostalgie: Mercedes-Benz G 500.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz