Der bislang teuerste Ferrari bringt es auf knapp 48 Millionen Euro
15. November 2023 Von Hans-Robert Richarz, cen
Ende 1961 begann Ferrari damit, einen Ersatz für den bislang erfolgreichen 250 GT mit kurzem Radstand zu suchen. Während dieses Modell auf den Rennstrecken der Welt zeitweise eine beherrschende Rolle gespielt hatte, stieß es inzwischen mit einer Spitzengeschwindigkeit von nur knapp 250 km/h, was in erster Linie an seiner schlechten Aerodynamik lag, zunehmend an seine Grenzen.
Doch an der 250 GT-Plattform, die sich sechs Jahrelang im Rennsport und im Alltagsbetrieb als straßentauglich bewährt hatte, wollte Ferrari festhalten. Giotto Bizzarrini, genialer Konstrukteur von Rennsportwagen, der im Mai 2023 starb, bekam die Aufgabe, den GT zu verfeinern. Dabei konzentrierte er sich ganz besonders auf die Entwicklung neuer Karosserien mit verbessertem Luftwiderstandsbeiwert, die er bei Aerodynamiktests im Windkanal der Universität Pisa sowie auf der Formel 1-Strecke in Monza ausprobierte.
Der 250 GTO, der schließlich anlässlich einer Pressekonferenz im Februar 1962 vorgestellt wurde, erwies sich als großer Wurf. Seine Kraft bezog er von einem wettbewerbstauglichen 3,0-Liter-V-12 Motor mit 300 PS. Ein neues Fahrgestell war auf der Höhe der Zeit, ein neues Fünf-Gang-Getriebe und eine überarbeitete Heckaufhängung mit steiferen Federn lieferten weitere Fortschritte. Am wichtigsten war aber wohl, dass die neue Chassis-Architektur es ermöglichte, den Motor tiefer zu platzieren, was für einen niedrigeren Schwerpunkt und ein entsprechend verbessertes Handling sorgte. Länger und aerodynamisch günstiger als der vorherige 250 GT mit kurzem Radstand wog das neue Modell zudem etwa 115 Kilo weniger als sein Vorgänger.
Während die Scuderia Ferrari ihre Sportwagen-Rennaktivitäten weiterhin auf die Boliden mit Heckmotor konzentrierte, vertraute sie die 250-GTO-Linie weitgehend privaten Teams und bevorzugten Kunden an. Es dauerte nicht lange, bis diese Fahrzeuge ihre Spuren im internationalen Wettbewerb hinterließen. Schon das zweite gebaute Auto mit der Fahrgestellnummer 3387 GT belegte mit Phil Hill und Olivier Gendebien am Steuer1962 bei den 12 Stunden von Sebring den 1. Platz in der Gesamtwertung. Danach begann eine Zeit anhaltender Dominanz, die sich bis weit ins Jahr 1964 erstreckte und schließlich den 250 GTO zu einem der erfolgreichsten Rennsportwagen überhaupt machte.
Gleichzeitig änderte sich nach und nach das Rennsportreglement. Obwohl die FIA, die Dachorganisation des weltweiten Automobilsports (Fédération Internationale de l'Automobile), versuchte, die Teilnahme an den 24 Stunden von Le Mans auf GT-Fahrzeuge zu beschränken, hielt der französische Automobile Club de l’Ouest an der Idee des Prototyp-Rennwagens fest.
So führte er 1962 eine 4,0-Liter-Klasse ein, deren Zweck es angeblich war, Autos zu entwickeln, die sich über kurz oder lang für die Straßenautoproduktion eignen könnten.
Andere Langstrecken-Austragungsorte folgten schnell dem französischen Beispiel. Eine 4,0-Liter-Klasse wurde in Sebring, der Targa Florio und dem 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring übernommen. Das blieb den Ferrari-Ingenieuren nicht verborgen, und sie begannen bald ernsthaft darüber nachzudenken, einen 4-Liter-Motor in einen GTO einzubauen. Damit begann die Geschichte des Modells, das später zum bislang teuersten Ferrari aufsteigen sollte.
Äußerlich entsprach das Auto weitgehend dem überarbeiteten Ferrari 250 GTO, besaß aber das angepasste Fahrgestell und den größeren, für Renneinsätze modifizierten 4,0-Liter-V-12-Motor des Straßensportwagens Ferrari 400 Superamerica. Das Fahrzeug mit der Fahrgestellnummer 3765 LM von 1962 absolvierte als Ferrari 330 LM GTO eine kurze Renngeschichte als Werkswagen der Scuderia Ferrari und nahm in jenem Jahr am 1000-Kilometer Rennen auf dem Nürburgring und am 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1962 teil.
Nach Ende seiner Karriere unter einem sizilianischen Privatteam, das ihn bei Bergrennen einsetzte, kehrte der Wagen 1967 zurück in den Besitz von Ferrari und wurde noch im gleichen Jahr an einen Sammler in Kalifornien verkauft. Der ließ ihn aufwändig restaurieren und übergab ihn ein Jahr später an einen anderen amerikanischen Sammler, der den Ferrari zunächst bei Wettbewerben von Klassikern einsetzte.
Im August 1974 wanderte der Ferrari an Fred Leydorf, dem Vorsitzenden der damaligen Fiat Chrysler Automobiles N.V., der ihm zu einer weiteren Karriere als Ausstellungsexemplar und Showstar verhalf. Elf Jahre später ging das Fahrzeug in den Besitz eines Sammlers aus Ohio über, der es fast 40 Jahre behielt und schließlich diese Woche bei RM Sotheby’s versteigern ließ.
Bis dahin wurde der Ferrari mit Preisen geradezu überhäuft. Es ist anzunehmen, dass die Flut von Auszeichnungen weitergehen wird. Nicht zuletzt angesichts seines jetzigen Geldwerts. (cen)
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Ferrari 330 LM von 1962.
Foto: Autoren-Union Mobilität/RM Sotheby's
Ferrari 330 LM von 1962.
Foto: Autoren-Union Mobilität/RM Sotheby's
Ferrari 330 LM von 1962.
Foto: Autoren-Union Mobilität/RM Sotheby's
Ferrari 330 LM von 1962.
Foto: Autoren-Union Mobilität/RM Sotheby's
Ferrari 330 LM beim 1000-km-Rennen auf dem Nürburgring 1962.
Foto: Autoren-Union Mobilität/RM Sotheby's
Ferrari 330 LM beim 1000-km-Rennen auf dem Nürburgring 1962.
Foto: Autoren-Union Mobilität/RM Sotheby's