Interview: VW-Chef Thomas Schäfer macht Tempo in der Entwicklung

Für die Marke Volkswagen kommt der Wind derzeit von vorn: In China verliert sie an Bedeutung, in Deutschland muss sie die Produktion der elektrischen ID-Modelle drosseln. Es fehlt an Nachfrage und an Zulieferteilen. Ausgerechnet in diesem perfekten Sturm lässt Markenchef Thomas Schäfer mit dem ID 7 das neue elektrische Flaggschiff zu Wasser. Doch Schäfer hat einen Plan, wie er auf den Erfolgskurs zurückfinden will – in Europa, China und weltweit, verrät er im Interview mit Guido Reinking von der Autoren-Union Mobilität. In der Entwicklung wird ein neues Tempo vorgelegt – „China Speed“, 36 Monate von der Idee bis zum fertigen Auto. Und die junge, techaffine Zielgruppe soll bei VW endlich zu ihrem Recht kommen.

Wie wichtig ist der ID 7 für die ID-Baureihe von Volkswagen?

„Extrem wichtig. Als Top-End-Fahrzeug rundet er unsere elektrische ID-Familie nach oben ab. Die ID 7 Limousine ist sehr wichtig für China und die USA. In Europa wird der ID 7 Tourer, also der Kombi, die Hauptrolle spielen. Der ID 7 ist das ideale Familienfahrzeug, eine geräumige Reiselimousine, mit viel Platz. Und er ist hervorragend für Firmenwagenfahrer geeignet, die lange Strecken unterwegs sind.“

Ist der Preis des ID 7, ab 56.995 Euro, denn familientauglich?

„Verglichen mit dem Wettbewerb kann sich der Preis wirklich sehen lassen. Vor allem, weil das Auto praktisch mit Vollausstattung auf den Markt kommt. Für uns reduziert das die Zahl der Varianten und damit natürlich auch Kosten, für den Kunden ist das ein gutes Angebot.“

Ausgerechnet im September ist die Förderung von Elektroautos für Unternehmer ausgelaufen. War das eine gute Idee?

„Wir merken das natürlich bei den Auftragseingängen. Wegfallende Förderung ist in der Umbruchphase der Transformation zum Elektroantrieb alles andere als hilfreich. In Ländern mit einer konsequenten Förderpolitik wird sich die Elektromobilität schneller durchsetzen. Aber unabhängig davon sind wir überzeugt, dass der ID 7 für sich spricht.“

Wie wird sich der ID 7 im Vergleich zum etwa gleich großen Passat verkaufen?

Der Passat war in seiner Klasse immer schon unser Volumenauto. Wir sind zuversichtlich, dass der ID 7 diese Erfolgsgeschichte im Elektrosegment fortscheiben wird. Die Produktion des ID 7 läuft jetzt in Emden hoch. Zunächst bauen wir dort die Limousine, im kommenden Jahr kommt dann der Tourer hinzu.“

Vieles wurde mit ID 7 adressiert, das bei den ersten ID. Fahrzeugen kritisiert wurde, zum Beispiel bei der Bedienung. Warum brauchte es die Lernphase?

„Die Slider für die Lautstärke nicht zu beleuchten, war rückblickend ein Fehler. Umso wichtiger ist es, dass wir den Kunden genau zugehört und solche Details beim ID 7 verändert haben: Angefangen bei den beleuchteten Slidern bis hin zur Verbesserung der Sprachsteuerung, die jetzt absolut auf der Höhe der Zeit ist.“

Die ersten ID-Modelle von VW wurden stark kritisiert. Ist der Name ID nicht auch beschädigt?

„Wir haben unsere Kundinnen und Kunden um ihre Meinung gebeten. Die Frage war: Sind wir auf der richtigen Spur, unsere vollelektrischen Fahrzeuge unter dem Dach ID-Familie zusammenzufassen? Das Ergebnis war, dass die Modellbezeichnung ID weltweit einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Den Namen jetzt abzulegen, wäre falsch. Zumal die ID-Familie mit den jüngsten Upgrades des ID 3, ID 4 und 5 und neuen Modellen wie jetzt dem ID 7 richtig gut ist.“

Sie haben gerade erst den Passat vorgestellt. Wie lange wird es solche noch Verbrenner-Modelle bei VW geben?

„Der Tiguan ist auch ganz frisch im Markt. Mit T-Roc und Tayron, dem Nachfolger des Tiguan Allspace, kommen jetzt noch weitere neue Modelle als Verbrenner oder Plug-in-Hybride mit elektrischer Reichweite von 100 Kilometern. Das sind die besten MQB-Fahrzeuge, die wir je gemacht haben. 2033 wird unsere Produktion von Verbrennern in Europa dann voraussichtlich auslaufen.“

Der Plug-in-Hybrid ist derzeit in vielen Märkten von den Niederlanden bis nach China der am schnellsten wachsende Antrieb. Sollte das nicht das batterieelektrische Auto sein?

„Das liegt daran, dass dieser Antrieb in vielen Märkten gefördert wird, zum Beispiel in China als New Energy Vehicle. Auch in Südamerika und Nordamerika werden Plug-in-Hybride stärker nachgefragt. In China sind es allerdings vor allem die Low-Cost-Hybride, die beispielsweise BYD anbietet.“

Genau dieses Segment wächst in China sehr schnell. Sind die für VW auch eine Option?

„Ja, da sind wir in China dran. Die Zukunft wird aber dem reinen Elektroantrieb gehören. Der wird sich schneller durchsetzen, als viele denken.“

Derzeit sinkt die Nachfrage nach Elektroautos eher. Liegt das am Auslaufen der Förderung für Firmenwagen, oder haben BEVs ein grundsätzliches Problem?

„Es gibt auch andere Gründe für das Zwischentief: Inflation, gestiegene Zinsen, und auch die Stromkosten waren zeitweise hoch. In so einem Umfeld gibt es natürlich erstmal Unsicherheit in der Kundschaft und man greift eher auf vertraute Lösungen zurück. Aber insgesamt betrachtet wird sich die Elektrifizierung durchsetzen, auch vor dem Hintergrund der Flottengrenzwerte.“

Ab 2035 muss der Grenzwert null sein. Gibt es da neben dem Elektrofahrzeug nicht auch noch e-Fuel oder die Brennstoffzelle?

„Diese Technologien haben in bestimmten Nischen durchaus eine Daseinsberechtigung. Aber im Volumensegment wird sich das batterieelektrische Auto ganz klar durchsetzen.“

Bei der ID-Produktion wurden jüngst Schichten gestrichen, zum Beispiel in Zwickau und angeblich auch in Emden. Fehlt die Nachfrage?

„In der Tat passen wir unsere Schichten und Produktionsfahrweisen in den MEB-Werken aktuell auf die Nachfrage an. Für uns ist es keine Option, einfach weiter zu produzieren und so den Markt mit Fahrzeugen zu fluten. Erschwerend hinzu kommt, dass es aktuell einen Versorgungsengpass bei bestimmten Antriebsvarianten für unsere ID. Modelle gibt.“

Wie lange wird diese Durchstrecke für die ID-Modelle noch dauern?

„Die Strompreise sind jetzt wieder in vernünftigen Bahnen, und bei der Förderung werden wir sehen, ob die tatsächlich nächstes Jahr ausläuft.“

Und die Produktionsprobleme?

„Die Kolleginnen und Kollegen in Kassel arbeiten mit Hochdruck daran, das Problem in den Griff zu bekommen.

Dachte man nicht früher, bei den Elektromotoren gibt es gar nicht so viel Differenzierung, das ist doch ein austauschbares Produkt?“

„Das war ein Irrtum. Es ist schon eine Herausforderung, einen leistungsstarken, effizienten Elektromotor zu bauen, der in einem großen und schweren Fahrzeug wie dem ID 7 nur 14,8 Kilowattstunden verbraucht.“

Der ID 7 ist tatsächlich groß mit viel Platz auf dem Rücksitz, ist das nicht auch ein Auto für China?

„Ja, in China startet die Produktion jetzt gerade bei unserem Joint Venture FAW-Volkwagen. Die Markteinführung ist für Dezember geplant.“

Wird der ID 7 helfen, die zuletzt eher enttäuschenden Absatzzahlen in China zu verbessern?

„Das ist unser Ziel. Die Situation in China ist geprägt von vielen neuen Herstellern, die sich in einem stark wachsenden Elektromarkt möglichst schnell relevante Volumina sichern wollen. Auch über extreme Preisnachlässe.“

Angeblich gibt es bereits über 100 Autohersteller in China?

„Mit Batteriefahrzeugen verdient aktuell aber kaum einer von ihnen Geld. Wir sehen da einen extremen Verdrängungswettbewerb. Bereits heute sind von einst 500 Start-ups nur noch 100 auf dem Markt. Tendenz weiter sinkend.“

Wie sieht es bei Volkswagen in China aus?

„Bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sind wir nach wie vor sehr gut unterwegs und haben unseren Marktanteil noch einmal auf rund 15 Prozent gesteigert. Bei batterieelektrischen Fahrzeugen haben wir ein klares Programm zur Absatzsteigerung aufgelegt. Der ID 3 funktioniert mittlerweile im Markt sehr gut. Der ID 4 kommt in Gang. Der ID 7 kommt zur richtigen Zeit. Aber klar, wir haben doch ein bisschen was aufzuholen. Wir arbeiten an wettbewerbsfähigen Kosten und Produktfeatures, die den Geschmack der relevanten Kundengruppen treffen. Ab 2026 kommen zahlreiche neue Elektromodelle speziell für China.“

Haben Elektroautos von VW bei den Chinesen ein schlechteres Image?

„Wir haben eine extrem junge Kundschaft in China im Vergleich zu Europa oder den USA. Und die ist sehr techaffin und Gadget-orientiert. Diese Kunden erwarten Spiele auf dem Display, lieben es, im Auto Karaoke zu singen und so weiter. Die neuen Wettbewerber haben ihren Fokus voll auf dieses digitale Erlebnis im Fahrzeug gelegt. Aber da holen wir jetzt gerade auf. CARIAD China hat kürzlich die GameBase App vorgestellt. Der NEV Markt in China ist außerdem stark vom Trend zu intelligent Connected Vehicles (ICVs) geprägt. Hier kooperieren wir mit Thundersoft und Horizon Robotics und entwickeln neue Systeme, die schon im nächsten Jahr kommen.“

Wird VW in China wieder zu alter Stärke finden und Marktführer werden?

„Als Konzern sind wir das nach wie vor, nur nicht als Marke. Wir sind dabei, jetzt die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Auf der anderen Seite gibt es eigentlich kein Herstellerland auf der Welt, wo nicht ein Local Hero den ersten Platz besetzt hat, ob Südkorea, Deutschland oder Frankreich – und jetzt eben China. Man muss auch neidlos anerkennen, dass einige chinesische Hersteller einen wirklich guten Job gemacht haben. Aber das hemmt unseren Ehrgeiz nicht, im Gegenteil.“

Die Chinesen sind sehr schnell in der Umsetzung neuer Ideen. Läuft Ihnen in China die Zeit davon?

„Wir müssen verinnerlichen, wie man sehr viel schneller digitale Features entwickeln und zügig ins Auto bringen kann. Auch ganz speziell für China. Das heißt, neue Funktionen regelmäßiger über Updates ins Fahrzeug zu bringen und nicht auf das nächste Facelift zur warten. Wir brauchen den China Speed.“

Was heißt China Speed?

„Bei einem neuen Modell: 36 Monate von der ersten Idee bis zum Start der Produktion. Das machen wir jetzt. Übrigens weltweit, denn das spart auch Kosten.“

Wie wettbewerbsfähig ist denn die Produktion in Deutschland noch?

„Deutschland ist ein Hochpreisstandort. Damit müssen wir umgehen, und hierzulande innovativer und produktiver sein als an anderen Standorten. Volkswagen bekennt sich zum Standort Deutschland, sowohl in der Fertigung als auch in der Entwicklung. Aber wir müssen in vielen Bereichen effizienter werden. Bei den Produktionsmethoden mit Großgussteilen zum Beispiel.“

Großgussteile, wie Tesla sie mit seinen Giga-Pressen fertigt, sind auch für VW ein Thema?

„Wir erproben das Verfahren. Unser Ziel ist eine intelligente Lösung, mit der wir einerseits Gewicht sparen und andererseits sicherstellen, dass das Auto im Falle eines Unfalls trotzdem noch repariert werden kann.“ (cen)


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Auto-Medienportal-Chefredakteur Guido Reinking und VW-Markenchef Thomas Schäfer.

Auto-Medienportal-Chefredakteur Guido Reinking und VW-Markenchef Thomas Schäfer.

Foto: Autoren-Union Mobilität


VW ID 7.

VW ID 7.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volkswagen


VW ID 7.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Volkswagen


VW ID 7.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Volkswagen


VW-Markenchef Thomas Schäfer.

VW-Markenchef Thomas Schäfer.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volkswagen