Alpine hinter den Kulissen: In der Ruhe liegt die Kraft

Fahrzeuge entstehen normalerweise in Massenproduktionen und im Akkord. Nicht so bei Alpine. Der französische Sportwagenhersteller aus der Normandie ist anders: Gefertigt wird in Kleinserie, und Hektik ein Fremdwort. Wir haben uns die stressfreie Fertigung der A110 in der exklusiven Manufaktur angeschaut, berichten über Hintergründe und Details über die Zukunft der französischen Traditions-Autoschmiede.

Stellenweise ist es so leise, dass man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören könnte. Es gibt nur ein paar Roboter, wenig Stress und eben überraschend wenig Lärm. Die 350 Mitarbeiter in der Manufaktur in Dieppe strahlen eine beruhigende Gelassenheit aus. Sie fertigen die Alpine A110, meist in Handarbeit und mit viel Leidenschaft. Von Hektik keine Spur. In der Manufaktur von Alpine ticken die Uhren anders.

Automobile zu bauen bedeutet für Großserienhersteller zumeist Massenfertigung im Akkord. So produzierte etwa Ford in seinen besten Zeiten täglich 1850 Fiesta pro Tag. Sieben Tage in der Woche rollte in Köln-Niehl Fahrzeuge vom Band, alle 86 Sekunden eins. In den besten Zeiten, wohlgemerkt. Von einer derart hohen Taktzahl ist man in Dieppe so weit entfernt wie die Erde vom Mond. Schließlich produziert Alpine Fahrzeuge in Kleinserie. Gerade einmal 22 Exemplare der A110 verlassen hier täglich die Manufaktur an der Atlantikküste. Im fünf-Tage-Rhythmus, von morgens sieben Uhr bis um 15 Uhr.

Die im Vergleich zu anderen Werken recht kleine Alpine-Mannschaft hat sich auf die Fertigung von einem Modell spezialisiert. Allerdings entsteht der flache Sportwagen in gleich vier unterschiedlichen Ausführungen. Jede von ihnen besitzt einen eigenen Charakter.

Angefangen beim Basismodell A110, über die komfortbetonte A110 GT, die besonders sportliche A110 S, bis hin zur extrascharfen A110 R, die mit reichlich Kohlefaser-Einsatz sogar noch etwas leichter ist, als ohnehin schon. So ist für jeden Geschmack etwas dabei. Jedoch sind sich die Kunden zumindest in einem Punkt ziemlich einig: Egal welche Version gerade durch die Produktionshallen rollt, sie trägt meist die Traditionsfarbe Alpine-Blau. So wie einst die Ur-Alpine von 1962, die legendäre A110.

Bis heute gelten Alpine-Modelle, allen voran die A110, als Inbegriff des französischen Sportwagens. Gleiches trifft inzwischen auch für die Neuauflage der A110 zu, die seit 2017 im Produktions-Fokus steht, natürlich wesentlich moderner und in allen Abmessungen spürbar gewachsen, doch die Rezeptur ist die gleiche wie damals: Ein zweisitziger Sportler mit leichter Karosserie, die anstelle von Kunststoff, aus Aluminium besteht und gerade einmal 290 Kilogramm wiegt. Fahrbereit bringt die neue gesamte A110 nur 1110 Kilo auf die Waage.

In Verbindung mit dem Mittelmotor-1,8-Liter-Turbo, der bis zu 300 PS mobilisiert, entfacht sie ein wahres Feuerwerk. Dank einem Leistungsgewicht von 3,7 Kilogramm pro PS stürmt die A110 S in 4,4 Sekunden auf die Hunderter-Marke und weiter bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h. Und das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Es gibt ja noch die auf Diät gesetzte und 280 km/h schnelle A110 R. Und für noch exklusivere Ansprüche stehen immer mal wieder streng limitierte Sonderserien bereit. Allen gemeinsam: Hoher Fahrspaß, sowie ein agiles Handling, welches in Verbindung mit den sportlichen Fahreigenschaften jede Alpine zu einem leichtfüßigen Kurvenräuber qualifiziert.

Wir befinden uns im Karosseriebau. Mächtige Stahlpressen, die den Werksboden erbeben lassen, sucht man hier vergebens. Die leichten Karosserieteile wie Türen, Hauben und Kotflügel werden von außerhalb zugeliefert. Anschließend schweißen ein paar wenige Roboter das Aluminium-Puzzle zu einem Ganzen zusammen. Arbeiter nehmen danach die fertige Rohkarosse und ziehen den gesamten Aufbau auf einer Art Handwagen weiter zur Lackiererei ums Eck.

Mit insgesamt zwölf Robotern stehen dort die meisten Maschinen. Sie tragen den Lack in einem Niedrigtemperaturverfahren von 80 Grad auf. Das Verfahren hat außerdem den Vorteil, dass Kunststoffteile wie sie Stoßfänger einfacher lackiert werden können. Trotz der überraschend hohen Anzahl an künstlichen Menschen innerhalb der gesamten Manufaktur, steht selbst hier die Handarbeit im Vordergrund, um Oberflächen auf die Grundierung vorzubereiten, oder um die Karosse anschließend zu kontrollieren und sie nachzubehandeln. Darüber hinaus werden im Rahmen des Atelier Alpine Individualisierungsprogramms einige historische Farben oder Sonderwünsche ausschließlich von Menschenhand lackiert. Dafür bieten die Franzosen ein reichhaltiges Spektrum an. Aber das klassische Alpine-Blau liegt im Ranking unangefochten ganz weit oben.

An der eigentlichen Produktionslinie ist der Automatisierungsgrad ebenfalls verschwindend gering. Es gibt jedoch zwei Ausnahmen. Beim Einbau des Cockpits hilft eine Maschine, während eine weitere die Hochzeit tatkräftig, unterstützt. Dabei wird der Mittelmotor zusammen mit der Hinterachse an die A110 herangeführt. Die eigentliche Montage bis hin zum Festziehen aller Schrauben nimmt die Belegschaft vor.

Ungewohnt auch: Die Windschutzscheibe samt der gläsernen Motorabdeckung (bei der A110 R aus Kohlefaser) kommen erst spät ans Auto, fast schon am Produktionsende. Sie werden von zwei Mitarbeitern ans Auto getragen. Während die hintere Abdeckung mit wenigen Handgriffen eingeklinkt ist, wird die Frontscheibe vom Personal nach guter alter Sitte mit der Karosserie verklebt. In anderen Fabriken übernehmen diese Aufgabe längst Roboter, die den Einbauprozess vollautomatisch bewerkstelligen.

Aber da sind sie wieder, die Ruhe und Gelassenheit, die uns an jeder der 50 Arbeitsstationen immer wieder begegnet. Diese Nonchalance ist aber weit entfernt von jener Lässigkeit, die wir unseren französischen Nachbarn so gerne nachsagen. Auch die Präzision, mit der jeder einzelne Sportwagen zusammengebaut wird, ist beeindruckend. Das kontrollieren 25 Fachkräfte innerhalb der Produktionslinie ständig aufs Neue.

Sollte einmal etwas nicht in Ordnung sein, erfolgt sofort eine Nachbesserung, die das Problem beseitigt. Das Fließband-Ende überquert eine fertige Alpine nur, wenn sie die hohen werksinternen Ansprüche tadellos erfüllt. Erst dann verlässt sie die Manufaktur und zwar das erste Mal mit eigener Kraft, denn sie muss sich auf einer sieben Kilometer langen Teststrecke ersten Funktionstest unterziehen.

Die Alpine-Historie

Das 1969 gegründete Werk in Dieppe ist der Geburtsort der Sportwagenmarke Alpine, in der zunächst die A106 und ab 1962 die legendäre A110 gebaut wurde. Firmengründer Jean Rédélé, selbst passionierter Rennfahrer, baute zunächst Renaults für den Rallye-Einsatz um und beschloss eigene Sportwagen zu konstruieren. Mit der damaligen A110 und der 2+2-sitzigen A310 entstand aus der Marke Alpine eine kleine Familie, 1973 übernahm Renault die kleine Sportwagen-Manufaktur. Ende 1984 traten mit der V6 GT sowie der V6 GT Turbo dann gleich zwei Nachfolger in die Fußstapfen. Das letzte Modell war die A610, die auffällig markante Klappscheinwerfer trug. Doch 1995 war Schluss mit der Produktion der A610, die Nachfrage war zu gering.

Motorsport mit langer Tradition

Bis zum Produktionsbeginn der neuen A110 im Jahr 2017 hielt sich die Mannschaft in Dieppe mit sportlichen Renault-Modellen wie dem Sport Spider oder etwa die zweite Generation des Clio V6 über Wasser. Außerdem wurden konzerneigene Serienfahrzeuge für den professionellen Motorsport-Einsatz umgebaut. Die kleine Rennsport-Abteilung ist bis heute aktiv und auf sogenannte Competition-Cars – für die Rundstrecke und Rallye – spezialisiert.

Seit 46 Jahren ist Renault in der Formel 1 unterwegs, aktuell unter dem Alpine-Label. Das Formel 1-Team sitzt allerdings nicht in Dieppe, sondern im englischen Entsone (Chassis) sowie in der Nähe von Paris (Motoren). Hier in Viry-Châtillon testet Alpine das neue F1-Triebwerk für die nächste Saison und arbeitet eifrig an der Weiterentwicklung des 3,4-Liter großen V6-Turbos für das neue Hypercar A424. Mit der A424 wollen die Franzosen in der Langstreckenweltmeisterschaft 2024 auf die Punktejagd gehen.

Der Motorsport liegt Alpine in den Genen. Er hat eine lange Tradition in der Firmengeschichte. Mit dem Engagement im Rennsport will die Renault-Tochter den Bekanntheitsgrad steigern und neue Märkte erschließen. So wurde das 2023 frisch erschienene Topmodell A110 R erstmals auch in Japan eingeführt. Sogar mit großem Erfolg, obwohl die wenigsten im Land des Lächelns weder die Marke, noch die lange Alpine-Historie kannten und trotz Tempolimit. Neben dem heimischen Frankreich ist Deutschland übrigens seit langem zweitstärkster Absatzmarkt für die flache A110.

In Zukunft nur noch elektrisch

Mit der aktuellen A110 endet jedoch der Ausflug in die Welt der Verbrennungsmotoren. Schon in naher Zukunft wandelt sich Alpine zu einer Marke, die nur noch elektrische Sportwagen entwickelt und baut. Sieben neue Modelle sind in der Planung. Den Anfang macht die A290, die im Herbst 2024 debütiert und auf der ebenfalls im nächsten Jahr erscheinenden Elektroversion des R5 basiert. Die breit ausgestellten Kotflügel sollen ein wenig an den pausbäckigen sowie gleichermaßen imposanten Renault 5 Turbo erinnern und den dynamischen Charakter des elektrischen Flitzers optisch unterstreichen. Rund 85 Prozent der bereits vorgestellten Konzeptstudie A290_ß sollen dabei der Serien-Außenhaut entsprechen. Beim mittig angeordneten Fahrersitz samt minimalistisch gehaltenem Cockpit bleibt es hingegen nicht. Sie bleiben exklusive Showeffekte der A290-Beta-Studie.

Die A290 soll unter 1500 Kilo wiegen, wenig für ein E-Auto

Während es zum neuen Renault 5 bereits erste Fakten gibt, hält sich Alpine zur A290 noch ziemlich bedeckt. So liegt der Einstiegspreis für den Renault 5 E-Tech Electric bei rund 25.000 Euro, der mit seinem 52 kWh großen Akkupaket über eine maximale Reichweite von 400 Kilometern verfügen soll. Gebaut wird der elektrische R5 im Renault-Werk in Douai. Die Fabrik im Norden Frankreichs hat sich inzwischen auf die Produktion von Elektrofahrzeugen spezialisiert. Hier rollt der Megane E-Tech vom Band, demnächst der Elektro-R5 und kurz danach mit der A290 das zweite Alpine-Modell der Neuzeit. Die A290 hat fünf Türen und vier Sitzplätze und soll unter 1500 Kilogramm wiegen, ist also ziemlich leicht für ein Elektroauto. Über die Leistung des Fronttrieblers, sowie weitere Eckdaten hüllt Alpine jedoch ein großes Tuch des Schweigens.

Mit einem Crossover geht´s weiter

Noch wesentlich bedeckter halten sich die Franzosen beim Ausblick auf das dritte Modell, welches 2025 erscheint. Die unter dem werksinternen Arbeitstitel laufende Alpine GT X-Over ist ein Crossover-SUV aus dem Kompaktsegment. Die technische Basis liefert die batterieelektrische CMF-EV Plattform. Es ist die gleiche, die Allianz-Partner Nissan aktuell im Ariya nutzt. Daher kommt auch die Alpine GT X-Over in einer Allradvariante, mit einer E-Maschine an der Vorderachse sowie einer weiteren an der Hinterachse. Die Systemleistung beträgt für den Nissan Ariya 225 kW (306 PS), Alpine wird hinsichtlich Power und Performance wohl noch um einiges mehr zulegen, davon ist auszugehen. An der Batteriekapazität änderst sich vermutlich nichts. Für den Nissan beträgt sie 87 kWh und sorgt für eine Reichweite von maximalen 513 Kilometern.

Auch die nächste A110 stromert

Produziert wird die Alpine GT X-Over ab 2025 in Dieppe. Bis dahin wollen die Franzosen die Manufaktur weiter ausbauen und aufstocken. Das Nachfolgemodell der A110 folgt ein Jahr nach dem Crossover und kommt ebenso nur noch mit einem Stromanschluss, wie uns Robert Bonetto, der Vize-Präsident von Alpine, bestätigte. Sie wird auf einer eigenen Architektur aufbauen und ebenfalls in Dieppe gefertigt. Dann laufen in der Normandie endlich wieder zwei Fahrzeuge vom Band. Genauso wie früher mit der alten A110 sowie der A310. Außerdem haben die Franzosen für 2027 zwei weitere Stromer-Modelle für das D- und E-Segment geplant. Um welche es sich genau handelt, das wäre heute rein spekulativ und ist noch viel zu früh. Also abwarten, lieber einen Gang runterschalten und sich an die Mannschaft aus Dieppe halten: Schließlich lautet deren Devise ja: In der Ruhe liegt die Kraft. (aum)


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Bilder zum Artikel

Alpine.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/ Manufacture Dieppe


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