Stromlinienförmige Wiedergeburt: E-Autos auf klassischem Karosserie-Kurs

Die Revolution blieb aus. Neue Technologien bringen auch immer neue Formen hervor, lautet eine bekannte Designerformel. Doch bei der Elektromobilität ist davon kaum etwas zu sehen. Dabei prognostizierten die Auguren der Zunft, dass durch die Sandwichbauweise, der fehlenden Antriebswelle sowie den kleineren E-Maschinen, die in den Getrieben, Achsen oder Radnaben verschwänden, ganz neue, futuristische Karosserien möglich und zu sehen sein werden. „Pod-Cars“ oder People-Mover, wie etwa der VW Sedric oder das Urban Modular Vehicle (UMV) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), sind jedoch eher die Ausnahme und kommen über Showcar-Versuche nicht hinaus.

Ganz im Gegenteil, von einer Abkehr klassischer Karossen und Proportionen ist nichts zu sehen. Der Normalfall sind die E-Modelle, bei denen die Verbrennereinheit lediglich durch einen Elektroantrieb ersetzt wurde, wie es vor allem in der Stellantis-Markengruppe mit Opel Mokka-E und Astra-E, Peugeot e-308, Citroen e-C4, Fiat 500e, et cetera, aber auch von Mini (Cooper SE) oder Kia (e-Soul, Niro EV) praktiziert wird. Und selbst eigenständige Stromer wie der VW ID 3, Cupra Born, Genesis GV60, Honda e, Hyundai Ionic 5 oder Renault Mégane E-Tech folgen weiter klassischen Baumustern mit Vorderwagen und mehr oder weniger großer Motorhaube. Gar nicht zu reden von den populären SUV (Audi Q4 und Q8 e-tron, BMW iX, Ford Mustang Mach-E, Volvo C40 & XC40), die wegen ihrer Geräumigkeit, auch und gerade um die immer größeren Akkus unterzubringen, noch die vorherrschende Karosserieform bei den Stromern ist.

Aber selbst längst in Vergessenheit geratene Karosserieformen gelangen nun zu neuen Ehren. Allen voran die Limousine, die außerhalb Europas immer noch eine große Rolle spielte. Doch auch auf dem hiesigen Kontinent sorgt die Elektromobilität nun für eine Renaissance, weil dessen aerodynamischen Vorteile sich unmittelbar in Reichweite niederschlägt. In doppelter Hinsicht zurzeit am schönsten zu sehen am Hyundai Ioniq 6, der erst in diesem Jahr zum „World Car Design of the Year“ gewählt wurde. Die 4,86 Meter lange stromlinienförmige Coupé-Limousine fährt mit bestenfalls 614 Kilometern dank ihrer ausgefeilten Aerodynamik und dem bemerkenswerten cW-Wert von 0,21 mehr als 100 Kilometer weiter als das technisch identische Brudermodell Ioniq 5 bei gleicher Antriebs- und Batteriekonfiguration.

Noch einen Kommastelle besser schlüpft der Mercedes EQS durch den Wind. Auch wenn der S-Klasse-Stromer – anders als der eigenständige Hyundai – nur die elektrifizierte Fortsetzung der traditionellen Baureihe darstellt. Gleiches gilt für seinen Modellbruder EQE als Elektro-Pendant der E-Klasse sowie bei BMW für die Modelle i4 und i7 als E-Adaption von 4er und 7er. Und auch die übrigen klassischen Limousinen erhalten durch den Elektro-Boom und dem aerodynamischen Ringen um Reichweite eine Wiederbelebung. So haucht VW mit dem ID 7 dem Passat neues Leben ein und Opel mit der kürzlich vorgestellten Studie Experimental einem kommenden Insignia. Andere Marken setzen von vornherein auf die aerodynamisch günstige Stufenheckform, wie etwa Polestar 2 oder Nio ET5 und ET7, oder die zweitürigen Coupé-Varianten wie der Porsche Taycan und sein Technik-Zwilling Audi e-tron GT. Ein futuristisches Beispiel für die klassische Form, wenn auch nur in Studien-Status, ist der Peugeot Inception Concept.

Im energetisch günstigen Windschatten der Limousine wird sogar auch der Kombi wieder en vogue. Denn der vor allem in Deutschland geschätzte Karosserietyp bietet ähnlich große Geräumigkeit und Variabilität wie ein SUV, fährt aber nicht mit der Aerodynamik eines Schuhkartons durch die Gegend. Den Anfang machte Mitte 2022 jedoch bezeichnenderweise keiner der hiesigen, sondern ein chinesischer Hersteller. Der MG5 wird bereits fleißig ausgeliefert und laut KBA waren bis Mitte des Jahres schon mehr als 600 Exemplare zugelassen. Inzwischen sind auch der Opel Astra Sports Tourer Electric und Peugeot e-308 SW sowie der Nio ET5 Touring bestellbar. Im kommenden Jahr wollen auch die deutschen Premiumhersteller mit den E-Kombis des BMW i5 und des Audi A6 e-tron folgen. Ausgerechnet Mercedes hingegen hat trotz langjähriger Tradition mit Riesen-Räumern wie dem E-Klasse T-Modell derzeit kein Kombimodell in Planung und kann nur auf seine Elektro-SUV verweisen.

Apropos Raum: Noch eine Fahrzeuggattung erlebt gerade ein Comeback, das zwar dem von der E-Mobilität erzeugten Aerodynamik-Trend auf den ersten Blick zuwider läuft, dafür aber sehr wohl was mit der Technologie-Transformation zu tun hat: Vans und Großraumlimousinen. Ende der 90er und Anfang der 2000er noch eine der beliebtesten Karosserieformen in allen Größen und Varianten, verkamen sie mit dem Aufstieg der SUV zur Bedeutungslosigkeit. Peu á peu schleichen sie sich jetzt wieder zurück in den Markt. Neben den elektrifizierten Fortsetzungen traditioneller Baumuster wie dem Mercedes EQV, Opel Zafira-e Life oder VW ID Buzz sowie den kleineren Hochdachkombis Mercedes EQT, Renault Kangoo E-Tech oder Fiat E-Doblò kehren sie in Gestalt der siebensitzigen SUV zurück.

So etwa der Kia EV9, über fünf Meter lang, fast zwei Meter breit und 1,78 Meter hoch. Das neue Flaggschiff der Koreaner mit drei Sitzreihen kann variabel als Personen- oder Gepäcktransporter genutzt werden, sein Kofferraum fasst 571 Liter und lässt sich auf bis zu 2320 Liter erweitern. Das Pendant der Muttermarke Hyundai ist als Ioniq Seven Concept zwar noch nicht über das Studien-Stadium hinaus, soll aber voraussichtlich 2024 mit Allrad und 100 kWh-Akku kommen. Einem ähnlichen Konzept folgend hat zuletzt auch Skoda mit der Studie Vision 7S gezeigt, wohin die Reise bei der tschechischen VW-Tochter gehen könnte. Und selbst Volvo, zu Verbrenner-Zeiten noch die Kombimarke schlechthin, bringt jetzt mit dem EM 90 die erste Großraumlimousine der Firmengeschichte, wenn auch erst einmal nur in China. Der Van misst mehr als fünf Meter und wurde laut Volvo von innen nach außen und vor allem um die Fondpassagiere herum entwickelt.
Auch Lexus, bisher eher für seine luxuriösen Limousinen und SUV bekannt, setzt mit dem LM auf den Van. Der 5,13 Meter lange „Luxury Mover“ mit dem ausladenden „Kühlergrill-Bart“ ist mit allem erdenklichen Annehmlichkeiten, vor allem für die zweite Reihe ausgestattet, von Massagesitzen, aktiver Geräuschunterdrückung bis zu Kühlschrank und 48 Zoll großem HD-Breitbildbildschirm. Allerdings ist er auch zu Preisen ab mindestens 122.700 Euro das teuerste Modell im Lexus-Programm.

Eine mobile Luxus-Lounge mit „Weg-da“-Kühlerfront hat auch der chinesische Hersteller BYD mit dem Denza D9 auf der vergangenen IAA in München präsentiert. Im Fond der 5,25 Meter langen Großraumlimousine, die wahlweise von Elektromotoren oder Plug-in-Hybriden angetrieben wird, verwöhnen so genannte „Captain Chairs“ die Passagiere, in denen sie, sanft massiert und wohl temperiert, in einer Art Ruhe-Oase durch das alltägliche automobile Gewimmel chauffiert werden. Dabei genießen sie den Blick auf einen riesigen Monitor, der in die Trennwand zum Fahrer integriert ist.
Überhaupt zählen die Chinesen beim Van-Trend zu den Vorreitern, bietet Maxus, eine Tochter des größten chinesischen Automobilhersteller SAIC, in Deutschland doch bereits seit längerem den Mifa 9, einen 5,27 Meter langen Elektro-Van mit 2-2-3 Sitzkonfiguration, zwei Schiebetüren und 466 Liter Kofferraum feil. Allerdings ist es fraglich, ob der auffällig kantig gestylte SUV-Van mit seinen überschaubaren 440 Kilometern Reichweite und zu Preisen ab 69.000 Euro hierzulande auf große Resonanz treffen wird. Mehr als wenige hundert Exemplare jährlich sieht auch der deutsche Importeur nicht. Doch eins ist klar: das Comeback der Klassiker-Karossen ist nicht zu übersehen. Und die Chinesen werden dabei ganz gewiss eine große Rolle spielen. (cen)


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Opel Astra Sports Tourer Electric.

Opel Astra Sports Tourer Electric.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Opel


Hyundai Ioniq 6.

Hyundai Ioniq 6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hyundai


Hyundai Ioniq 6.

Hyundai Ioniq 6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hyundai


Future Mobility Day in Ehra-Lessien: Sedric.

Future Mobility Day in Ehra-Lessien: Sedric.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


Future Mobility Day in Ehra-Lessien: Sedric.

Future Mobility Day in Ehra-Lessien: Sedric.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen


UMV People-Mover 2+2.

UMV People-Mover 2+2.

Foto: Auto-Medienportal.Net/DLR


UMV People-Mover 2+2.

UMV People-Mover 2+2.

Foto: Auto-Medienportal.Net/DLR


Mit dem Mercedes-Benz EQS 580 4-Matic unterwegs in Dänemark.

Mit dem Mercedes-Benz EQS 580 4-Matic unterwegs in Dänemark.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hans-Robert Richarz


VW ID 7.

VW ID 7.

Foto: Autoren-Union Mobilität/VW


VW ID 7.

VW ID 7.

Foto: Autoren-Union Mobilität/VW


Porsche Taycan 4S.

Porsche Taycan 4S.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Porsche


Porsche Taycan 4S.

Porsche Taycan 4S.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Porsche


BMW i4.

BMW i4.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Frank Wald


BMW Kurzfilm "The Calm" mit Elektro-Topmodell i7 M70 xDrive.

BMW Kurzfilm "The Calm" mit Elektro-Topmodell i7 M70 xDrive.

Foto: Autoren-Union Mobilität/BMW


Kia EV9.

Kia EV9.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Kia


Kia EV9 GT-Line.

Kia EV9 GT-Line.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Kia


Kia EV9 GT-Line.

Kia EV9 GT-Line.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Kia


Skoda Vision 7S.

Skoda Vision 7S.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Skoda


Skoda-Designchef Oliver Stefani und seine Studie Vision 7S.

Skoda-Designchef Oliver Stefani und seine Studie Vision 7S.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Skoda


Ioniq Seven Concept.

Ioniq Seven Concept.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hyundai


Ioniq Seven Concept.

Ioniq Seven Concept.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Hyundai


Opel Astra Sports Tourer Electric.

Opel Astra Sports Tourer Electric.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Opel


MG 5.

MG 5.

Foto: Autoren-Union Mobilität


MG 5.

MG 5.

Foto: Autoren-Union Mobilität


Peugeot E-308 SW.

Peugeot E-308 SW.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Peugeot


Nio ET5 Touring.

Nio ET5 Touring.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Nio


Nio ET5 Touring.

Nio ET5 Touring.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Nio


Volvo EM 90.

Volvo EM 90.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo


Volvo EM 90.

Volvo EM 90.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo


Volvo EM 90.

Volvo EM 90.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Volvo


IAA Mobility 2023: Denza D9.

IAA Mobility 2023: Denza D9.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Walther Wuttke


IAA Mobility 2023: Denza D9.

IAA Mobility 2023: Denza D9.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Walther Wuttke


Lexus LM.

Lexus LM.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Lexus


Lexus LM.

Lexus LM.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Lexus


Maxus Mifa 9.

Maxus Mifa 9.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Maxus


Maxus Mifa 9.

Maxus Mifa 9.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Maxus


VW ID Buzz.

VW ID Buzz.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Frank Wald