Das Power-Quartett: Der Lamborghini Huracán verabschiedet sich

7. Januar 2024 Von Matthias Knödler, cen

Bis 2019 galt der der Huracán Performante als schärfstes Derivat der Baureihe, seitdem haben die Italiener allerdings nochmals nachgelegt – mit den Modellen Evo, 2021 mit dem STO, 2022 mit dem Tecnica und zuletzt 2023 der auf 1499 Exemplare begrenzten Serie Sterrato, die allerdings mit hochgelegter Karosserie einen eigenständigen Ansatz verfolgt. Der Charakter dieser vier Modelle: Durchaus unterschiedlich. Wir fahren sie im Vergleich. Und stellen fest: Noch immer ist die Bevölkerung der Toskana und der Emilia Romagna stolz ihre herausragende Automobilindustrie, unverändert feiert sie die Autos, man freut sich über jeden einzelnen Lamborghini. Von den euphorischen Schulkindern im Pausenhof bis zur älteren Dame wird ausnahmslos der „bella macchina“ gehuldigt. Vom Straßenrad aus wird man nicht selten gestikulierend zum Gasgeben aufgefordert. Die kurvigen Bergstraßen, die von der Fabrik in Sant‘Agata in die Berge des Apennin führen, erlauben es, die Eigenarten der vier Varianten herauszuarbeiten.

Huracán Tecnica – Reiner Purismus

Wie bei jedem Huracán ist schon der Startvorgang eine Schau. Man legt die rote Spange über dem Startknopf um, eine schöne Reminiszenz an Flugzeugcockpits. Jetzt ist der Weg frei, um per Knopfdruck das Triebwerk zu starten und die Fahrt zu beginnen.

Der Tecnica ist nur heckgetrieben und damit 43 Kilogramm leichter als der Huracán Evo. Mit seiner leichteren Vorderachse gleicht er die fehlende Hinterachslenkung aus und fühlt sich genauso agil an. Gerade bei diesem Modell muss der Fahrer noch mit dem nötigen Respekt am Gaspedal arbeiten. Das Gewichtsverhältnis auf den Achsen liegt bei 41 zu 59, und damit besser als beim Evo.

Für uns ist der Tecnica ein Supersportwagen in puristischster Form, mit einer überzeugenden Spreizung zwischen alltäglicher Straßennutzung und Rennstrecke. Dass Materialien, Design und Verarbeitung auf allerhöchstem Niveau liegen, ist selbstverständlich.

Huracán Evo – Für alle Fälle

Die 640 PS aus 5,2 Litern Hubraum sind auch beim allradgetriebenen Evo weit mehr als ausreichend. Mit seinem Antriebskonzept ist er insgesamt etwas leichter und weniger giftig zu fahren als der Tecnica, er neigt dafür ganz leicht zum Untersteuern. Auch hier können am Lenkrad die drei Fahrmodi Strada, Sport und Corsa ausgewählt werden. Strada und Sport sind für die Landstraße ideal, der Sport-Modus bereitet aber in den Tunneln besondere Freude, denn der Motoren- und Auspuffklang des Zehnzylinders ist hier echt und keine Simulation. Bisweilen entweichen dem Abgastrakt sogar Flammen.

Der Evo ist der Allrounder unter den Huracán-Modellen, und so fokussiert sich die Aufmerksamkeit nicht zuletzt auf das Infotainmentsystem, das perfekt funktioniert und auf jeglichen Firlefanz verzichtet. Wir raten zu den Sportsitzen, die nicht nur leichter sind als die Komfortsitze, sondern die wir auch als bequemer empfinden.

Huracán STO – der Rennwagen

Ohne Frage stellt der STO die größte Herausforderung unter den Huracán-Modellen dar, er verlangt den größten Respekt. Vorne gibt es keinen Kofferraum, gleich beim Einsteigen merkt man, dass es sich um ein straßenlegales Rennauto handelt. Praktisch alles ist mit Kohlefaser verkleidet, außer dem kleinen Handschuhfach gibt es keine Ablagemöglichkeiten.

Die Fahrmodi haben die Bezeichnungen STO, Trofeo und Pioggia (Regen). Schon im STO-Modus ist das Auto kompromisslos abgestimmt. Das Einlenkverhalten ist ausgesprochen agil, die Bremsen sehr giftig. Der Trofeo-Modus ist für öffentliche Straßen eigentlich zu brutal. Dass die Vmax mit 310 Km/h um 15 km/h unterhalb der Modelle Evo und Tecnica liegt, ist der Aerodynamik und hier besonders dem großen Heckspoiler geschuldet, der auf der Piste für den nötigen Abtrieb sorgt. Der STO ist als legitimer Nachfolger des früheren Huracán Performante positioniert.

Huracán Sterrato – der Moderne

Jüngstes Modell der Huracán-Baureihe ist der Sterrato, positioniert als eine Art Crossover, mit einem ähnlichen Ansatz wie beispielsweise beim Porsche 911 Dakar. Schon unter dem früheren CEO Stefano Domenicali soll es einen Offroad-Entwurf gegeben haben, Stephan Winkelmann hat jetzt den Schritt gewagt. Von außen ist der Starrato ganz unverwechselbar: Die angesetzten Kotflügelverbreiterungen machen ihn vorne 3,2 Zentimeter und hinten 2,3 cm breiter. Die Karosserie ist um 4,4 cm angehoben – mehr war bei der Fahrzeuggeometrie nicht möglich. Einen Front-Lift braucht dieser Huracán jedenfalls nicht. Dachreling und optionale Zusatz-Nebelscheinwerfer unterstreichen den Offroad-Charakter. Es gibt ein 19-Zoll-Sonderrad und mit Bridgestone entwickelte Spezialreifen mit Stollenprofil, die trotz guter Geländeeigenschaften bis 260 km/h zugelassen sind.

Die Extra-Zentimeter bringen erstaunliche Übersichtlichkeit, und schon auf den ersten Kilometern ist zu spüren, dass dieser Huracán sehr eigenständig ist. Mit den höheren Gummiflanken und seiner spezifischen Fahrwerksabstimmung ist der Sterrato erheblich komfortabler als seine Schwestermodelle. Mit dem weicheren Ansprechverhalten von Lenkung, Bremsen und Dämpfung ist der Sterrato der wohl alltagstauglichste Huracán. Für einen besseren Drehmomentverlauf wurden in der Spitze 30 PS gekappt, was ihn landstraßen- und geländetauglicher macht. Die Fahrmodi heißen Strada, Sport und Rally. Der Strada-Modus ist besonders dezent, hier wurden auf Komfort, bestmögliche Haftung und Sicherheit geachtet. Im Sport-Modus geht dann der Spaß richtig los: Die Abstimmung ist auf Staub und Schotterstraßen ausgerichtet, und zwar heckbetont. Der Rallye-Modus wiederum ist auf Schnee und rutschigen Untergrund ausgelegt und wieder allradbetonter.

Unser Fazit: Purismus schlägt alles

Einen Sportwagen wie den Lamborghini Huracán wird es vielleicht nie wieder geben, jedenfalls aber nicht in den nächsten Jahren und solange die Elektrifizierung en vogue bleibt. Für uns war es deshalb das Fahrspaß-Highlight des Jahres. Doch so leicht diese Feststellung ist, so schwierig ist es, aus den vier verschiedenen Modellen einen Favoriten zu küren. Müssten wir uns entscheiden, so wäre es wohl der Huracán Tecnica: Er ist nicht nur der puristischste im Quartett, sondern auch derjenige, der am direktesten an die Historie der Marke anknüpft – an 350 GT, Urraco und Gallardo. Und den Geist des „Terra die Motori“ am überzeugendsten verkörpert. (cen)

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