Mercedes fing 1984 ziemlich hoch mit dem Campen an

Das ist schon ein Grund zum genaueren Hinsehen, wenn eine Reisemobil-Baureihe 40 Jahre alt wird. Der Marco Polo, einst bei Westfalia als Ausbau des „Bremer Transporters“ von Mercedes entstanden, kann jetzt auf eben so eine lange Geschichte zurückblicken. Wenngleich sich sein Erscheinungsbild in den vergangenen Jahren entscheidend gewandelt hat. War der Kastenwagen mit seiner typisch beigen Lackierung (was ihm auch den Spitznamen Tchibo-Mobil einbrache) mit Hochdach und fast drei Metern Höhe noch ein ordentlicher Brocken, so flutscht die Neuauflage des Campers, die seit 1996 den Viano bzw. später Vito und aktuell die V-Klasse von Mercedes nutzt, mit weniger als zwei Metern Außenhöhe in so manches Parkhaus und bekommt dadurch erhebliche Alltagstauglichkeit.

Dabei bietet er dank eines sich elektrisch aufklappenden Hubdachs vier Schlafplätze an Bord, zwei unten auf der flachgelegten Sitzbank und zwei im Oberstübchen mit Panoramablick. War der in Bremen produzierte Transporter 209 D noch ein keuchendes Raubein mit mageren 88 PS (65 kW) und 172 Newtonmeter schwachem Drehmoment, dessen Spitzengeschwindigkeit unter guten Voraussetzungen bei etwa 120 km/h lag, so rauscht der Marco Polo der mittlerweile vierten Generation mit fast Tempo 200 über die Autobahn, wenn man es denn will. Deutliche Unterschiede gibt es auch beim Preis. Der Ur-Camper war für etwa 40.000 Mark zu haben, der aktuelle Marco Polo startet mit der doppelten Summe in Euro, wenn er denn halbwegs gut ausgestattet und motorisiert ist.

Navigation, Assistenzsysteme, Spracherkennung und ein Infotainment vom Feinsten, das gehört im aktuellen Mercedes-Camper einfach dazu. Der Innenraum ist stilsicher gestaltet, der Wohnbereich elegant und edel. Früher war das anders. Der braune Farbton der Möbeldekore und das Karomuster von Bezügen und Gardinen waren modern, damals zumindest. Dafür waren auf 4,80 Meter Länge zwei Betten und eine Notliege über den Sitzen im Fahrerhaus mit von der Partie, die Küche war mit Kühlschrank, Spüle und Gasherd ausgerüstet und im Waschraum konnte notfalls auch eine mobile Kassetten-Toilette untergebracht werden. Das geht im neuen Marco Polo nicht mehr so einfach. Die Instrumentierung war spartanisch, neben dem Tacho gab es zwei Uhren für Tankvorrat und Kühlwasser-Temperatur, eine martialische Heizungsbedienung und im besten Fall ein Autoradio, das mit zeitgemäß blechernem Klang die Schlager der Zeit vorspielte oder die kurzen Verkehrsnachrichten zu Gehör brachte.

Zum Vierzigesten rührt Mercedes ordentlich die Trommeln für den Marco Polo. Und übergeht dabei elegant, dass der Camper bei seiner Geburt im Grunde kein Mercedes-Produkt war. Er wurde, wie auch der größere James Cook, bei Westfalia in Rheda-Wiedenbrück gebaut, die sich damals schon geraume Zeit mit den Ausbauten des VW T3 einen vorzüglichen Namen gemacht hatten. Der Bully war als Modell Joker der Bestseller der Westfalen, bis VW das Heft selbst in die Hand nahm und ihn kurzerhand und zu günstigeren Preisen unter dem Namen California selbst herstellte. Westfalia wurde später zur verlängerten Werkbank der Autohersteller und baute dann den Marco Polo als Auftragnehmer für die Stuttgarter und den Nugget für Ford.

Darüber, wie digital Campen am Ende werden darf, lässt sich beim Vergleich der beiden ungleichen Marco-Polo-Brüder mit 40 Jahren Unterschied trefflich streiten. Jede Erweiterung des elektronischen Angebots kann die Zahl der Fehlerquellen steigern. Die Kiste mit dem Bordwerkzeug kann man bei aktuellen Camper-Vans getrost zu Hause lassen, reparieren lässt sich vom Laien bei ihnen rein gar nichts. Uns kommt da eine kleine Anekdote in den Sinn, die sich auf einem malerischen Stellplatz im Friaul in einem California T5 zugetragen hat: Während eine frische Dorade vom Markt sanft auf dem Outdoor-Grill garte, zeigte die Bordelektronik überraschend diverse Fehlfunktionen an. Weder die Kühlbox kühlte, noch hob sich das elektrische Hubdach. Lange Telefonate mit der Service-Hotline von VW ergaben, es müsse eine komplettes Reset des Systems vorgenommen werden, was bis zum erfolgreichen Abschluss eine ganze Weile dauerte. Zu lange zumindest für den Fisch, der es in der Zwischenzeit vorgezogen hatte, seine Konsistenz ins Kohleartige zu wandeln. (cen)


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Mercedes-Benz Marco Polo (1984).

Mercedes-Benz Marco Polo (1984).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Marco Polo (1984).

Mercedes-Benz Marco Polo (1984).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Marco Polo (1984).

Mercedes-Benz Marco Polo (1984).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Viano „Marco Polo“ (2010).

Mercedes-Benz Viano „Marco Polo“ (2010).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Viano „Marco Polo“ (2010).

Mercedes-Benz Viano „Marco Polo“ (2010).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Der 10.000ste Mercedes-Benz Viano „Marco Polo“ (2012).

Der 10.000ste Mercedes-Benz Viano „Marco Polo“ (2012).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Marco Polo (2024).

Mercedes-Benz Marco Polo (2024).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Marco Polo (2024).

Mercedes-Benz Marco Polo (2024).

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz


Mercedes-Benz Marco Polo.

Mercedes-Benz Marco Polo.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz