Weit über zehn Millionen Dollar für einen rüstigen Senior

Die seit einigen Jahren auf Amelia Island im US-Bundesstaat Florida organisierte Versteigerung wertvoller Oldtimer und Sammlerfahrzeuge hat sich inzwischen zur Tradition beim Auktionshaus Gooding & Company aus Santa Monica in Kalifornien mit spektakulären Angeboten entwickelt. So auch am ersten März-Wochenende. Da erzielte das Unternehmen mit dem Verkauf eines 1903er Mercedes-Simplex 60 PS „Roi des Belges“ einen bemerkenswerten Rekord. Erstmals wechselte ein Fahrzeug aus einem Baujahr vor 1930 zu einem Preis von mehr als zehn Millionen Dollar die Besitzerin oder den Besitzer. Genau 12.105.00 US-Dollar (11.136.6 Euro) klingelten nach dem dritten und damit finalen Hammerschlag in der Gooding-Kasse.

Dass ein für einen 121 Jahre alten Gebrauchtwagen ein derart exorbitanter Preis zu realisieren sei, vermuteten Kenner bereits Wochen vor der Auktion gleich aus mehrfachen Gründen.

Erstens: Das das Auto galt zu seiner Zeit als Supersportwagen, an dem alle anderen aus den folgenden Jahren gemessen wurden. Design und Leistung waren revolutionär. Von Wilhelm Maybach entworfen und von der Daimler Motoren Gesellschaft (DMG) auf Bestellung von Emil Jellinek gebaut, gilt es als das erste moderne, leistungsstarke Automobil des 20. Jahrhunderts.

Zweitens: Noch immer befindet sich der Wagen nahezu im Originalzustand. Selbst die ursprüngliche Lederpolsterung ist erhalten geblieben und in einem bemerkenswert guten Zustand. Nur noch vier verbliebene Exemplare des Mercedes-Simplex 60 PS befinden sich in Privatbesitz, ein fünftes, ein Omnibus mit langem Radstand, steht im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart. Darüber hinaus ist der versteigerte Merecdes eines von nur zwei solcher Autos mit intakter Original-Karosserie.

Drittens: Ein weiterer Oldtimer, der von 1903 an bis heute in Familienbesitz verblieb und somit sozusagen aus erster Hand den Besitzer wechselte, dürfte so leicht nicht zu finden sein.

1898 hatte sich Emil Jellinek, unternehmungslustiger Generalkonsul für Österreich-Ungarn und Rennfahrer, als offizieller Agent für DMG in Nizza an der Cote d’Azur niedergelassen und neue Phoenix Daimler Motor Cars an wohlhabende Bewohner der französischen Riviera verkauft – zu jener Zeit nach Paris der wichtigste Markt der Welt für Automobile. Um die Jahrhundertwende verpasste Jellinek den Autos aus Deutschland den Namen seiner Tochter Mercedes, den die DMG sich 1902 patentamtlich schützen ließ.

Mercedes hieß folglich auch der Simplex 60 PS „Roi des Belges“, den sich später der britische Journalist und Verleger-Tycoon Alfred Harmsworth, Viscount Northcliffe (1865-1922) zulegte kurz nach dem er die „Daily Mail“ als Frauenzeitschrift gegründet hatte und die wenig später zum berüchtigten Krawallblatt mutierte. Als Automobilenthusiast gehörte Harmsworth damit zu den ersten, die eines der neuen 60-PS-Modelle bestellten. Der 1903er Mercedes-Simplex war eines seiner Lieblingsautos, in dem er kreuz und quer durch Europa reiste.

Die Bezeichnung „Roi des Belges“ (König der Belgier) trugen zu jener Zeit die bei Luxusautomobilen verwendete Karosserieform mit zwei Sitzreihen und gerundeten Kurven. Benannt worden war sie nach dem belgischen König Leopold II., der 1901 einen Wagen mit dieser Form bestellt hatte. „Simplex“ stand für die einfache, also simple Bedienung des Wagens.
Harmsworth vertrat nebenbei nachdrücklich die Rechte und Interessen der britischen Autofahrer und unterstützte den Royal Automobile Club nach Kräften. Sein Vermögen aus dem Verlag erlaubte ihm den Aufbau einer beeindruckenden Sammlung außergewöhnlicher Automobile seiner Zeit, darunter der Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“ als wichtigstes Exemplar.

Dieser Wagen wurde zunächst neu im April 1903 nach Nizza im Auftrag des Verlegers Harmsworth an Emil Jellinek ausgeliefert, wo er zunächst unter Rennfahrer Hermann Braun im Jellinek-Auftrag einen neuen Geschwindigkeitsrekord erreichte. Es folgten zahlreiche Erfolge bei Autorennen. Danach ließ ihn sein Besitzer mit der Karosserie „Roi des Belges“ ausstatten, die er heute noch trägt und von der prestigeträchtigen Coachworking-Firma J. Rothschild et Fils stammte. In den darauf folgenden Jahren diente der Mercedes als einer der bevorzugten Privatwagen von Harmsworth, den er häufig zu Fahrten in Großbritannien und auf dem Kontinent einsetzte.

Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Alfred John Francis Alexander Harmsworth das Fahrzeug, der ebenfalls ein Auto-Enthusiast und unter anderem Besitzer eines Mercedes-Benz SSK war. Das Auto wurde von der Familie gut gepflegt, und kurz nachdem Lord Montagu of Beauly Mitte der 1950er-Jahre sein berühmtes Motormuseum an der britischen Kanalküste eröffnet hatte, wanderte der Mercedes dorthin. Fast sieben Jahrzehnte, von 1956 bis 2023, stand er dort und wurde 1958 auch auf der Brüsseler Weltausstellung World Fair vorgestellt. Außerdem – immer noch in Familienbesitz – nahm er an mehreren Veranstaltungen des jährlich stattfindenden London-to-Brighton-Laufs teil – mit anderen Automobilgrößen wie Lord Montagu oder Rennfahrer Jim Clark am Steuer.

„Dieser Mercedes-Simplex 60 PS ist eines der bedeutendsten Fahrzeuge der automobilen Frühzeit, die jemals auf den Markt kamen, und seine Versteigerung war ein wirklich historischer Moment für die Welt der Autosammlerauto", stellte Gooding & Company-Präsident und Mitbegründer David Gooding fest. „Wir hatten noch nie ein Auto, das so lange in Familienbesitz war. Außerdem stellt dieser Mercedes einen Eckpfeiler der Marke dar.“

Darüber, wem der immer noch rüstige automobile Senior heute gehört, hüllt sich Gooding in Schweigen. Es wäre schön, wenn sich der neue Besitzer, der sich seinen Spaß mehr als zwölf Millionen Dollar hat kosten lassen, die Tradition des Mercedes als Teilnehmer bei einem der nächsten London-to-Brighton-Läufe fortsetzt. (cen)


Wenn Sie der Artikel für Ihr Medium interessiert, registrieren Sie sich bitte hier!
Dann können Sie den Artikel oder die Bilder und Videos herunterladen.


Bilder zum Artikel

Wurde für umgerechnet über elf Millionen Euro in den USA von Gooding & Company versteigert: Merecdes-Simplex 60 PS „Roi des Belges“ aus dem Jahr 1903.

Wurde für umgerechnet über elf Millionen Euro in den USA von Gooding & Company versteigert: Merecdes-Simplex 60 PS „Roi des Belges“ aus dem Jahr 1903.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Gooding & Company


1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Gooding & Company


1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Gooding & Company


1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Gooding & Company


1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

1903er Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Gooding & Company


So viel Geld wurde noch nie für ein Fahrzeug vor Baujahr 1930 erzielt: Versteigerung des Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“ aus dem Jahr 1903 bei Gooding & Company im März.

So viel Geld wurde noch nie für ein Fahrzeug vor Baujahr 1930 erzielt: Versteigerung des Mercedes-Simplex 60 HP „Roi des Belges“ aus dem Jahr 1903 bei Gooding & Company im März.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Gooding & Company